Zuletzt schrieb Gastautor Dieter Schickling, warum eine Fusion der beiden Orchester des SWR ökonomisch sinnlos wäre. Nun antwortet der SWR-Verwaltungsdirektor Viktor von Oertzen.

Stuttgart - Es geschah im Jahr 2010, da wurde ein neues Wort geboren: der Wutbürger. Gemeint sind Menschen, die der Politik die Gefolgschaft aufgekündigt haben. Bürger, die eine Position haben, oder besser: eine Gegenposition. Im Jahr 2012 nun scheint sich der Wutbürger weiterzuentwickeln: zum Retter. Menschen, die sich vorbehaltlos für den Erhalt des Schönen, Wahren und Guten einsetzen (wer könnte schon dagegen sein?) – und Gefolgschaft ernten, bisweilen massenhaft. Schließlich reicht ein Klick im Netz, und der Retter kann sich besten Gewissens zurücklehnen. Aber wem ist damit geholfen?

 

Ganz neu sind die sogenannten „Regioretter“, die „Radioretter“ gibt es schon länger, und auch die „Orchesterretter“ wollen angeblich nur eines: retten eben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann sich vor Rettern fast selber nicht mehr retten.

Was ist geschehen: Der SWR ist ein junger Sender. Erst 1998 ist er entstanden. Damals wurde ein Anachronismus beseitigt: Zwei öffentlich-rechtliche Sender in einem Bundesland, nämlich Baden-Württemberg, gab es nirgends sonst. Die Sendergrenzen verliefen entlang der Linie, an der die Panzer der Befreier nach dem Zweiten Weltkrieg zum Stehen gekommen waren: In der französischen Zone entstand der SWF, in der amerikanischen der SDR. Beide Sender haben jeweils ein Sinfonieorchester gegründet. Die Musiker mussten spielen, spielen, spielen – nicht in Konzertsälen vor erlesenem Publikum, sondern im Rundfunk-Studio. Es gab damals schlicht von vielen Musikstücken keine Schallplatten, die man hätte auflegen können, erst Recht keine Aufnahmen von unter den Nazis unterdrückter, zeitgenössischer Musik. Insofern ermöglichten die Rundfunkorchester erst das Senden – und wurden so auch zum Sinnbild für die kulturelle Wiedergeburt einer Nation.

Der SWR ist stolz auf seine Rundfunkorchester

Sie sind ein Erbe, dessen sich der SWR bewusst ist. Sie sind Teil einer Geschichte, die zeigt: Es ist einem historischen Zufall zu verdanken, dass auf dem Boden des heutigen Baden-Württembergs zwei große Rundfunk-Sinfonieorchester entstanden sind: das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR und das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden Freiburg. Baden-Württemberg ist seit sechzig Jahren „vereint“, die beiden Klagkörper aber bestehen bis heute fort.

Der SWR ist schlicht stolz auf seine Orchester. Jeder würde diese Orchester gerne erhalten wollen. Aber 2012 ist nicht 1945. Anders als damals gibt es inzwischen eine schier unerschöpfliche Vielfalt an klassischer und zeitgenössischer Musik. Der SWR kann Musik senden, ohne sie selber produzieren zu müssen. Vor allem aber: Die finanziellen Rahmenbedingungen haben sich verändert. In den sechziger und siebziger Jahren ist die Zahl der Fernsehzuschauer – und damit die der Gebührenzahler – explodiert. Die Wiedervereinigung hat später dazu geführt, dass Deutschland mehr Einwohner und der öffentlich-rechtliche Rundfunk Millionen neuer Gebührenzahler bekommen hat. Heute aber schrumpft Deutschland aufgrund der demografischen Entwicklung.

Der ganze SWR wird schlanker

Es reicht einfache Mathematik. Weniger Gebührenzahler ist gleich weniger Gebühren. Selbst wenn der neue Rundfunkbeitrag ab 2013 hoffentlich dazu führt, dass die Gebühreneinnahmen nicht weiter sinken, sondern sich wenigstens auf dem niedrigen Niveau von 2009 stabilisieren: Die Welt um uns herum ist seitdem teurer geworden und wird weiter teurer werden. Jeder spürt das, wenn er etwa tanken geht oder wenn er seine Stromrechnung bezahlt. Selbst wenn selbst ernannte Retter das gerne übersehen: Auch der SWR muss tanken und braucht Strom. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) hat uns aber, wenn überhaupt, seit 1998 nur Steigerungen der Gebühren unterhalb der normalen Inflation zugebilligt. Das heißt schlicht und einfach: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk musste zuletzt und muss künftig erst recht mit seinem Geld auskommen.

Vorhersagen sind immer schwierig, sie gehören dennoch zum Alltagsgeschäft einer Geschäftsleitung. Der SWR ist sogar gesetzlich zu einer vorausschauenden Finanzplanung verpflichtet. Der SWR hat daher einen grundlegenden Einspar- und Umbauprozess beschlossen. Im Zehn-Jahres-Zeitraum müssen wir bis 2020 zur Kostendeckung rund 166 Millionen Euro einsparen. Nur wenn uns das gelingt, werden wir weiterhin das hochwertige und umfassende Programm in Hörfunk, Fernsehen und Internet machen können, das jeder Gebührenzahler von uns erwartet. Ein Weg, den wir seit Jahren mit unseren Rundfunkräten besprechen, in öffentlichen Sitzungen.

Wir sparen in den Strukturen, bei der Verwaltung, im Technikbereich. Innerhalb von zwei Jahren wurden die Etats um dreißig Millionen Euro reduziert. Wir verschlanken den ganzen SWR. Immer mit einem Ziel: an gutem Programm soll möglichst nicht gespart werden.

Die Orchesterfusion ist die zukunftsträchtigste Lösung

Wahrscheinlich wäre es am geräuschlosesten gewesen, wir hätten wie bisher Jahr für Jahr den Klangkörpern des SWR in Baden-Württemberg ein wenig den Etat gekürzt. Am Ende wäre vielleicht auch irgendwie die erforderliche Summe rausgekommen. Die Namen der Orchester blieben bestehen, auch wenn sie mangels Masse in der Bedeutungslosigkeit versinken würden – aber Hauptsache gerettet!

Seit Monaten prüfen wir die verschiedensten Optionen. Bislang hat sich gezeigt, dass die Fusion der beiden Orchester die zukunftsträchtigste Lösung ist. Wir können damit langfristig Jahr für Jahr fünf Millionen Euro sparen. Wir können aber vor allem ein Orchester schaffen, das nach der Zahl der Musiker und bezüglich des Etats deutlich besser ausgestattet sein wird als seine Vorgänger. Es ist die Alternative zwischen Kaputtsparen und der Chance auf Exzellenz. Wir haben uns für die Chance entschieden und gegen den stillen künstlerischen Tod.

Fusionen sind nicht einfach. Wir sind da beim SWR nicht naiv, sondern erfahren. Wir selber sind ja das Produkt einer erfolgreichen Fusion, und wir haben innerhalb des SWR viele Bereiche fusioniert. Die beiden Popwellen SDR3 und SWF3 etwa – entstanden ist allen Unkenrufen zum Trotz die erfolgreichste Popwelle Deutschlands. Und erfahren sind wir auch bei der Fusion von Klangkörpern. Auch in Rheinland-Pfalz hat der SWR ein Orchester, gemeinsam mit dem SR: die – fusionierte – Deutsche Radio Philharmonie. „Geht gar nicht“, haben uns Kritiker entgegengehalten. Tatsächlich wird dieses Orchester gefeiert.

Mit Sparen macht man sich selten Freunde. Ein (zu schlichter) Vorschlag lautet daher, der SWR solle fröhlich weiter Geld ausgeben, am besten noch mehr als je zuvor. Schließlich könne der SWR Mehrbedarf anmelden und Geld quasi bestellen, das dann die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) postwendend überweist. Nach der Logik müsste der SWR noch schnell ein weiteres Orchester gründen. So läuft das aber nicht: Die KEF macht uns ganz konkrete Vorgaben, wie wir unsere Ausgaben zu kürzen haben. So hat die KEF den öffentlich-rechtlichen Sendern auferlegt, von 2009 bis 2012 zusätzlich zu ohnehin schon geplanten Kürzungen weitere dreihundert Stellen in der ARD abzubauen (Orchesteraufwand ist übrigens überwiegend Personalaufwand) und hundert beim ZDF. Und ab 2013 geht es so weiter.

Der SWR steht zum Kulturauftrag

Es führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen priorisieren. Was nicht ohne Schmerzen abgehen wird. Was aber auch eine Chance birgt. Wir können uns rückbesinnen auf unseren Auftrag – und damit auf unsere Stärken. Wie uns der Staatsvertrag über den Südwestrundfunk vorgibt, wollen wir mit unserem Programm informieren, bilden, beraten und unterhalten – und dabei insbesondere dem kulturellen Auftrag des öffentlichen Rundfunks entsprechen. Der SWR braucht sich da weder heute noch in Zukunft zu verstecken: Kein anderes drittes TV-Programm hat so viel Kultursendungen wie das SWR Fernsehen. Wir haben mit SWR2 eine 24-Stunden Kulturwelle. Wir haben die SWR Bigband, wir haben das Experimentalstudio für zeitgenössische elektronische Musik, wir haben das SWR Vokalensemble. Und ohne uns gäbe es weder die Donaueschinger Musiktage noch die Schwetzinger Festspiele. Ja, der SWR steht zum Kulturauftrag.

Der SWR muss sich aber angesichts des umwälzenden medialen Wandels auch weiterentwickeln, muss seinen Programmauftrag zeitgemäß interpretieren. Wir setzen daher mehr denn je auf unsere Informationskompetenz, verschreiben uns ganz und gar dem Südwesten, erneuern grundlegend das Programm, das eine neue Sogwirkung entfalten soll auch auf junge Menschen.

Wütend sein ist einfach. Retter sein ist schick. Schick war es übrigens auch, den GEZ-Beitrag in den letzten Jahren zu boykottieren. Vielleicht sind die Motive all dieser wütenden Retter um uns herum gar nicht so ehrbar, wie sie scheinen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird finanziert von allen. Er muss also allen dienen – und darf eben nicht Opfer gut vernetzter Lobbygruppen werden, die Rettung vorgeben, tatsächlich aber ihr Einzelinteresse durchsetzen wollen.

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