Exklusiv Aus den SWR-Orchestern in Stuttgart und Freiburg wird 2016 eines. Es wird SWR-Symphonieorchester heißen und am 22. September 2016 im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle sein erstes Konzert geben. Ein Chefdirigent steht allerdings noch nicht fest.
Stuttgart - Im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle, am 22. September 2016, es wird ein gewöhnlicher Donnerstag sein, soll der erste öffentliche Auftritt eines neuen Orchesters stattfinden. Eines Orchesters, das aus zwei traditionsreichen Rundfunk-Institutionen, die mit einander fusioniert werden, hervorgeht. Aus dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg und dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR wird in zweieinhalb Jahren das SWR-Symphonieorchester, „bei internationalen Auftritten eventuell mit dem Zusatz Stuttgart“. Das teilte Johannes Bultmann, künstlerischer Gesamtleiter der Klangkörper und Festivals beim Südwestrundfunk, am Dienstag mit.
Bultmann wurde vor gut einem Jahr auf diese neu geschaffene Position berufen, um vor allem die Orchesterfusion organisatorisch und künstlerisch vorzubereiten. Von 2008 war er Intendant des Konzerthauses Philharmonie Essen und zuvor zehn Jahre Direktor für den künstlerischen Bereich des Programms des Festspielhauses Baden-Baden – ein Mann mit vielfältigen Beziehungen in der Branche: sachlich, unaufgeregt und ohne hochfliegende eigene Dramaturgie- und Kulturpolitik-Ambitionen. Wahrscheinlich genau der Richtige, um dieses komplexe Projekt anzugehen. Die volle Unterstützung des Intendanten Peter Boudgoust und des Hörfunkdirektors Gerold Hug ist ihm gewiss. Die SWR-Chefs sähen sich lieber gestern als morgen aus der Schusslinie öffentlicher Attacken, die ihnen die Fusion bereitet, genommen. Nun soll Bultmann das Gesicht des Fusionsorchesters sein.
Die Politiker diskutieren noch über die Fusion
Jetzt hat er erste Fakten bekannt gemacht. Strategisch für den Sender ein wichtiger Schritt, denn der Widerstand gegen die seit 2011 energisch betriebene Orchesterschrumpfung ist besonders im Badischen nicht erloschen. Und die Politik, an die immer wieder Rufe ergehen, sie solle ordnend, nämlich die Fusion verhindernd, eingreifen, spricht mal so, mal so.
Vor gut einer Woche erklärte die baden-württembergische Kunstministerin Theresia Bauer (Grüne), dass sie die Fusion der beiden SWR-Sinfonieorchester „kulturpolitisch und künstlerisch für grundfalsch“ halte. Dagegen zeigte sie im November und Februar in den Sitzungen des Ausschusses für Wissenschaft, Forschung und Kunst des baden-württembergischen Landtags moderates Verständnis: „Der Intendant, habe in sehr überzeugender Weise. . . erklärt, warum der SWR diesen schmerzlichen, wohl beachten, lange diskutierten und am Ende auch nachvollziehbaren Schritt, der einen Verlust bedeutet, gegangen sei“, zitiert sie der Ausschussbericht (Drucksache 15/4949).
Dem Südwestrundfunk ist also daran gelegen, die Lage zu kalmieren, am besten, indem Tatsachen geschaffen werden – und kommuniziert werden, wie es im PR-Deutsch heißt.
Allzu viel, außer dem (etwas altmodischen) Namen und dem Datum des Gründungskonzerts, mochte Bultmann dann zwar nicht verraten – auch wenn die erste Spielzeit 2016/17 steht, „abgesehen von einigen Positionen“, wie er sagte. Bekannt geben möchte er das endgültige Programm Ende des kommenden Jahres, spätestens im Februar 2016. So viel deutete er am Dienstag an: es werden „bipolare“ Programme eine Rolle spielen, die zwei Komponisten aus verschiedenen Epochen, einer davon aus dem 21. oder 20. Jahrhundert, gegenüberstellen.
Ein Chefdirigent ist noch nicht gefunden
Was die Dirigenten betrifft, strebt Bultmann generell eine „Mischung von arrivierten, tollen und interessanten Älteren und sogenannten jungen Wilden“ an, bei diesen allerdings nicht die, „die gerade durch Marketing und schicke Fotos in bunten Blättern en vogue sind, sondern solche jungen Dirigenten, die künstlerisch etwas zu sagen haben“. Für äußerst wünschenwert hält es Johannes Bultmann, wenn die jetzigen Chefdirigenten François-Xavier Roth und Stéphane Denève nach einer Karenzzeit von zwei, drei Saisons als Gäste zurückkehrten. Die brennendste Frage, welcher selbstmörderische Kandidat sich wohl bereit erklären wird, Musiker verschiedener Klang- und Spielkulturen als Chefdirigent zusammenzuführen, mochte Bultmann allerdings nicht beantworten.
Nach seinen eleganten Andeutungen könnte es gut sein, dass man in der ersten Saison (möglicherweise auch der zweiten und dritten?) ohne einen Chefdirigenten auskommt. Alternative Modelle seien denkbar, erklärte Bultmann. Ausschließen wolle er nichts. Relativ gelassen sieht er dem Schrumpfungsprozess des personell zunächst ja enormen Orchesters entgegen. Zusammen 198 Planstellen haben die beiden Orchester jetzt. Das künftige SWR- Symphonieorchester soll 119 haben; es wird damit das größte deutsche Rundfunkorchester sein, noch vor den Spitzenorchestern in Hamburg und München mit je 115 Musikern.
Wann dieses Endziel erreicht wird, durch natürliche Abgänge wie Wegbewerbungen, Pensionierungen und einvernehmliche Vorruhestandsregelungen (der SWR-Intendant Boudgoust hat betont, dass es keine Entlassungen geben werde), ist nicht genau bekannt: der Sender rechnet zwischen 2023 und 2025.
Es soll audiovisuelle Übertragungen aus dem Konzertsaal geben
Das Management des SWR Symphonieorchesters wird seinen Sitz in Stuttgart haben, die bisherigen Manager Felix Fischer (RSO) und Reinhard Oechsler (SO) würden in dessen Leitung eine wesentliche Rolle spielen. Johannes Bultmann, der sich selbst nicht als Orchestermanager versteht, sieht sich eher bei der Hörfunkdirektion in Baden-Baden. Außerdem strebt er an, dass das neue Management deutlich unabhängiger als bisher von den Senderstrukturen agiert, und er wird es mit eigenen Marketing- und PR-Positionen ausstatten. Auch der Internetauftritt des Orchesters soll gestärkt, die mediale Präsenz ausgebaut werden. Bultmann schweben audiovisuelle Übertragungen von Konzerten nach dem Vorbild der Berliner Philharmoniker vor, die mit ihrer Digital Concert Hall erfolgreich sind. Der SWR-Klangkörper-Chef sieht darin einen „Megatrend“.
Der Auftrittsrhythmus des Orchesters wird weitgehend den bisherigen der Vorgängerensembles an den Hauptspielorten entsprechen. Die zehn Abonnementskonzerte pro Saison finden in Stuttgart wie bisher am Donnerstag und Freitag statt, in Freiburg geht man vom Freitag auf Samstag, falls es Belegungsprobleme im Konzerthaus gibt, auf Sonntag. In beiden Städten wird das gleiche Programm gespielt. Zusätzlich wird es eine Abonnementsreihe im Mannheimer Rosengarten geben. Nach Angaben von Johannes Bultmann – „darauf können Sie sich freuen“ – steht ebenfalls weitgehend das Programm der Donaueschinger Musiktage 2016 fest; es werden die letzten unter der Leitung des verantwortlichen SWR-Redakteurs Armin Köhler sein, der in den Ruhestand geht.
Bultmann versichert, dass etliche Kooperationen des bisherigen RSO in Stuttgart, also mit der Bachakademie, der Kulturgemeinschaft, dem Neue-Musik-Festival Eclat, der Konzertdirektion Russ (als Agentur für Deutschland) sowie die Mittagskonzerte in die Disposition des künftigen SWR-Symphonieorchesters eingeplant seien und fortgeführt würden, so gewünscht. Gespräche würden nach Ostern aufgenommen. Und schließlich werde man selbstverständlich die Musikvermittlungs-Projekte vor allem für Jugendliche fortsetzen – in Stuttgart wie in Freiburg.