Das SWR-Symphonieorchester blickt unter Philippe Herreweghes Leitung zurück zur Blütezeit unter Roger Norrington – und hat mit dem Geiger Thomas Zehetmair einen spannend erzählenden Solisten.

Stuttgart - Es ist der Abend des Paukers. Dass das begeisterte Publikum im Beethovensaal Michael Israelievitch am Ende eines wundervoll-eigenartigen Konzertabends einen langen Sonderapplaus spendiert, liegt allerdings nicht nur daran, dass der Stimmführer der Pauken im SWR-Symphonieorchester den ersten Satz von Beethovens Violinkonzert mit gut siebzig Wiederholungen ein und desselben Motivs ziert. Nein, der Beifall hat mit dem Solisten zu tun: Der österreichische Geiger Thomas Zehetmair entscheidet sich im ersten Satz nicht für die originale Violinkadenz, sondern für eine Bearbeitung jener Kadenz, die Beethoven für die Klavierfassung seines Stücks neu komponierte. Zehetmairs Landsmann Wolfgang Schneiderhan (1915-2002) hat Beethovens zwölf (!) Manuskriptseiten gleichsam zurückübersetzt für die Geige, und diese Solopassage ist nicht nur wegen ihrer Länge und wegen ihrer volkstümlichen, tänzerischen Momente etwas sehr Besonderes, sondern auch wegen des ungewöhnlichen Dialogs zwischen dem Solisten und dem Pauker. Eine Kadenz als Zwiegespräch gab es vor Beethoven noch nie – und lange nach ihm auch nicht.

 

Ungewöhnlich ist aber auch Zehetmairs Zugriff selbst. Manchmal steht der schmale Mann, dessen Spiel von viel Körperspannung getragen wird, da wie ein Stehgeiger im Wiener Heurigenlokal. Oder, noch treffender, wie ein Zigeuner. Manches klingt dann fast so, als habe Beethoven schon lange vor Brahms ungarische Tänze schreiben wollen. Der erste Satz ist sehr rasch, der zweite sehr langsam. Manches bei Zehetmair wirkt ein wenig manieriert, aber dieser Geiger ist einer, der eine Geschichte erzählen will, der das viele Figurative seiner Partie ernst nimmt und der die Spannung hält.

Durch Herreweghes Schumann-Interpretationen weht der Geist der Romantik

Die Freiheit, die Zehetmair einfordert, gewährt ihm der Alte-Musik-Spezialist Philippe Herreweghe. Wobei Beethovens Konzert am Donnerstag im Beethovensaal derart eingerahmt ist von Werken Robert Schumanns, dass man den Aufbruch, das Zukunftspotenzial des Früheren ebenso spürt wie die Wurzeln des Späteren. Zumal in Stuttgart mag man sich ein wenig auch an Roger Norringtons vibratoarmen „Stuttgart Sound“ erinnern. Bei Schumanns „Manfred“-Ouvertüre und bei seiner zweiten Sinfonie klingt das Orchester indes dann doch ganz anders als unter Sir Roger: Die tiefen Streicher sind präsenter, zumal im Adagio scheint das Orchester förmlich zu singen, und das tut es zwar nicht sentimental, wohl aber mit einem gewissen Pathos. Das lässt Herreweghe zu, das wächst heraus aus den lebendigen Phrasen, die er formt. Obwohl die Bewegungen des Belgiers meist nur klein sind, weil sie von den Ellbogen ausgehen, nicht von den Schultern, denkt er bei weitem nicht so kleinphrasig wie sein britischer Kollege, und so weht durch seine Interpretation trotz aller trockenen Artikulation und Vibratoarmut der Geist des Romantischen. Mit dem Finale des Stücks, das ein Beethoven-(Lied-)Zitat ziert, rundet sich das Konzert. Und am Ende steht: ein wirkungsvolles Paukensolo. Herr Israeliewitsch, leicht errötet, verbeugt sich stolz.