Wie hält man das aus, immer nur den NS-Völkermord zu forschen? Sybille Steinbacher trägt die Freundschaft mit den Überlebenden und das Bewusstsein, dass die Aufarbeitung eine Frage der politischen Kultur der Bundesrepublik ist.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Frankfurt - Im Mai hat Sybille Steinbacher die erste deutsche Holocaust-Professur an der Frankfurter Goethe-Universität angetreten. Außerdem leitet sie das ebenfalls in Frankfurt ansässige Fritz-Bauer-Institut. Die späten Prozesse gegen NS-Täter wie John Demjanjuk in München oder Oskar Gröning in Lüneburg sind für die Historikerin wichtig: ein Zeichen, dass Alter nicht vor Strafe schützt, und dass auch die Helfer Verantwortung tragen. Ein Gespräch über das Lernen aus der Vergangenheit für die Gegenwart – und über ein Forscherinnenleben im Zeichen des nationalsozialistischen Massenmordes.

 
Frau Steinbacher, Sie sind angetreten, den Holocaust weiter zu erforschen. Was wissen wir denn nach all den Jahren noch nicht?
Man kann durchaus fragen, warum wir uns damit immer noch beschäftigen sollen. Der Holocaust ist aber nicht irgendein Ereignis. Der in Deutschland und Israel wirkende Historiker Dan Diner hat den Begriff vom Zivilisationsbruch geprägt. Das bringt es sehr genau auf den Punkt, worum es sich handelt: Es geht um ein Verbrechen, das von Relevanz für die ganze Menschheitsgeschichte ist. Vor diesem Hintergrund kann man nie aufhören, sich damit zu beschäftigen. Sondern muss sich immer wieder vergegenwärtigen, was geschehen ist und fragen:Wie konnte das geschehen? Und auch: Was bedeutet es für uns in der Gegenwart?
Bei intensiver Beschäftigung kann aber auch Fassungslosigkeit über das Geschehen wachsen. Ist Ihnen dieses Gefühl vertraut?
Sehr. Fassungslosigkeit ist ein Gefühl, von dem man sich leiten lassen und es dann produktiv machen sollte, um Fragen an Geschichte und Gegenwart zu entwickeln.