Ist das Kunstmuseum als Institution am Limit? Darüber haben Fachleute aus ganz Deutschland auf Einladung der Staatsgalerie in Stuttgart diskutiert. Die pessimistische Einschätzung der Direktorin Christiane Lange teilen die meisten aber nicht.

Stuttgart - Klimagipfel in der Staatsgalerie: unter dem Titel „Grenzen des Wachstums“ hat die Fachwelt auf Einladung der Direktorin Christiane Lange in Stuttgart über die Zukunft der Institution Kunstmuseum diskutiert. Krisenstimmung signalisierte dabei nicht nur die beim Club of Rome und seiner wachstumskritischen Studie von 1972 entlehnte Überschrift, bei der man die entsprechenden Zusammenbruchsszenarien gleich mit im Kopf hat. Krisenstimmung hatte die Staatsgaleriechefin auch schon vor dem Symposium in Interviews und Radiosendungen verbreitet, in denen sie eine Überhitzung des Betriebs beklagte, unter der vor allem die öffentlichen Museen zu leiden hätten.

 

Seit 1990, so rechnet Lange vor, habe die Zahl der Museen in Deutschland um mehr als fünfzig Prozent auf 6358 Häuser zugenommen, allein bei den Kunstmuseen seien in diesem Zeitraum 700 Neugründungen hinzugekommen. Nur der Finanzmittel- und Publikumskuchen sei nicht in gleichem Maße mitgewachsen – mit der Folge, dass der Konkurrenzdruck untereinander stetig größer werde. Um sämtliche Ausstellungen zu sehen, müsste der kulturbeflissene Zeitgenosse 9,3 Ausstellungen besuchen, und das täglich und rund ums Jahr. Alle buhlten um Geld und Aufmerksamkeit, Erfolg werde nur noch an Besucherzahlen gemessen. Quote müssten in dieser Situation möglichst spektakuläre, publikumswirksame Sonderschauen bringen, wodurch Sammeln, Forschen und Bewahren – alles ebenso wichtige Aufgaben des öffentlichen Museums wie das Ausstellen – ins Hintertreffen gerieten.

Von einem „Kulturinfarkt“ will die Chefin der Staatsgalerie zwar nicht reden. Das Buch, das unter diesem Titel gegen den „Kulturstaat“ polemisierte, da es „von allem zu viel und überall das Gleiche“ gebe, hatte vor drei Jahren eine kurzzeitige Debatte im Kulturbetrieb ausgelöst. Sie wolle, sagt Lange, vielmehr über Perspektiven der Museen nachdenken, „um aktiv unsere Geschicke zu steuern“. Sie ist dann aber doch der Meinung, dass nicht jede Kleinstadt ihr eigenes Museum braucht, weil die Distanzen durch moderne Verkehrsmittel heute kürzer geworden seien, und sie ist überdies der Meinung, dass „man nie alle erreichen wird“. Eine Orientierung am „Massengeschmack“ sei daher der falsche Weg, wie der Vergleich mit den öffentlich-rechtlichen Sendern zeige, bei denen der Wettbewerb mit den Privaten zu einer „Verflachung“ des Angebots geführt habe.

Eine „erfolgreiche Fehlkonstruktion“

Bei Museumsleuten hatte Christiane Lange mit ihrer Initiative anscheinend einen Nerv getroffen. Aus ganz Deutschland waren Experten und Fachkollegen ihrer Einladung nach Stuttgart gefolgt. Doch wirklich anschließen wollte sich ihrer kulturpessimistischen Breitseite nur der Kunsthistoriker Walter Grasskamp von der Akademie der Bildenden Künste in München, der in seinem Eröffnungsvortrag das Kunstmuseum als „erfolgreiche Fehlkonstruktion“ bezeichnete, dem die Expansion in allen Bereichen (außer dem finanziellen) zum Verhängnis zu werden drohe. Auch nach seiner Beobachtung mehren sich die Krisenzeichen. Folgekosten, einmal erworben, werde man nie wieder los. Ein Museum zu gründen sei dennoch immer noch einfacher, als eines zu schließen. „Und es werden immer noch so viele gegründet“, hatte Grasskamp schon vor dem Symposium in einem Beitrag für die FAZ geschrieben, „dass es an das Stresswachstum gemahnt, in das Pflanzen sich zu retten versuchen, wenn sie merken, dass die Ressourcen knapper werden.“

Aber schon die baden-württembergische Kulturministerin Theresia Bauer widersetzte sich der elitären Herablassung der Staatsgaleriedirektorin, dass ohnehin „nie alle“ zu erreichen seien, mit ihrem optimistischen Vortragstitel „Alle Welt ins Museum!“ Die grüne Ministerin will in der Vielfalt der Museen kein Krisensymptom, sondern eine Bereicherung des Kulturlebens erkennen, auch wenn sie einräumt, dass es künftig nicht um quantitatives, sondern um qualitatives Wachstum gehen müsse. In einer zunehmend multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft, sagt Bauer, schafften Museen den „öffentlichen Raum für die Debatte, wie wir leben wollen“, sie seien Orte der sozialen „Verständigung und Selbstvergewisserung“. Die Museumsarbeit dürfe nicht der kapitalistischen Erfolgslogik unterworfen werden, darin geht sie mit den Museumsdirektoren konform. Doch sie fordert diese gleichwohl auf, sich mit dem Publikum auseinanderzusetzen, um dessen Interessen in die programmatische Konzeption einzubeziehen und nicht in „falschen Gegensätzen zu verharren“. Und was die lästige Konkurrenz betrifft, rät die Ministerin gelassen zu einer „freundlichen Arbeitsteilung“ zwischen öffentlichen und privaten Museen.

Dass Museen mit zahllosen Problemen zu kämpfen haben, würde wohl kein Experte in Abrede stellen. So konstatierte Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München, eine „Entfremdung zwischen universitärer Ausbildung und musealer Praxis“. Denn im Gegensatz zu der verbreiteten Annahme, dass die Arbeit von Kuratoren hauptsächlich darin bestehe, Bilder aufzuhängen, hätten Museumsleute es heute mit einer Fülle von Aufgaben zu tun, „die sie nicht studiert haben“. Sie müssten sich mit  Provenienzforschung auskennen, mit Energiebilanzen, mit Brandschutzbestimmungen und Vergaberecht, dazu mit Marketing und Kunstvermittlung etc. pp. Maaz empfiehlt dem Nachwuchs darum Nebenfächer wie Jura oder Betriebswirtschaft, da es gelte, „weg von der Promotion und hin zur Lebenstüchtigkeit“ zu kommen.

Wachstumspotenziale liegen im Digitalen

In das Krisengerede von den Grenzen oder Gefahren des Wachstums wollten aber weder er noch die in Stuttgart versammelten Fachleute mehrheitlich einfallen. Zu spüren war eher eine energiegeladene Aufbruchsstimmung, der Wille, die schwierigen Herausforderungen anzupacken und das Museum fit für die Zukunft zu machen. Grasskamps Klage etwa, dass die Sammlungen Eisbergen glichen, von denen nur die Spitze sichtbar sei, während der ins Unermessliche wachsende Rest in den Depots verschwinde, hielt der Berliner Journalist Nikolaus Bernau Schaudepots nach angelsächsischem Muster entgegen. Auch in Rotterdam sei solch ein großer, begehbarer Bilderspeicher mitten in der Stadt geplant. Da so etwas aber wiederum zu neuem Wachstum und neuen Folgekosten führen würde, geben Museen meist den kostengünstigeren Kunstlagern den Vorzug, die der Unternehmer Hans Ewald Schneider vorstellte.

Wo die von Theresia Bauer geforderten qualitativen Wachstumspotenziale liegen könnten, zeigten vor allem Inka Drögemüller und Barbara Welzel auf. Drögemüller ist unter anderem für die Digitale Sammlung und Online-Angebote des Frankfurter Städel-Museums zuständig. Die Digitalisierung der Bestände sei nicht nur eine Alternative zum teuren Schaudepot. Durch die kostenlosen „Digitorials“ – erklärende Einführungen zu den Wechselausstellungen – und einen Fundus von bisher rund 800 Werken im digitalen Bestandskatalog, die nach Künstlern, Motiven und Techniken, aber auch nach Themen wie „romantisch“, „lustvoll“ oder „unheimlich“ verschlagwortet sind, sei es gelungen, ein zuvor unerreichbares junges Publikum für das Museum zu interessieren. Selbst Jungs, die besonders schwer ins Museum zu bekommen sind, fühlten sich angesprochen. Der von dem Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich beschriebenen Tendenz der Öffentlichkeit, das Museum als Institution wahrzunehmen, wo vornehmlich die eigene Kreativität stimuliert werde – ganz im Sinne des Beuys’schen Diktums „Jeder ist ein Künstler“ – kommt diese „Erweiterung in den digitalen Raum“ offensichtlich entgegen.

Welzel schließlich beschwor das Pathos, mit dem die Französische Revolution einst die zuvor höfischen Kunstsammlungen „für das Volk“ geöffnet hatte. Das gleiche Pathos schwang in ihrer Aufforderung mit, diesen „Schwur“ zu erneuern. Die Frage, ob Museen eine Zukunft haben, sei weniger ein Kultur- als ein Menschenrechtsdiskurs. „Was tun wir“, fragte die Kunstgeschichtsprofessorin von der TU Dortmund, „um den Wissensdurst junger Menschen zu befriedigen?“ In dieser Hinsicht hapere es bei den allermeisten Häusern noch an der Besucherfreundlichkeit, angefangen von den Öffnungszeiten, die kaum auf Berufstätige Rücksicht nehmen. „Wir sollten nicht darüber reden, ob wir Museen zumachen, sondern, wann wir sie aufmachen.“