Vom Filmklassiker über die US-Sitcom bis zur BBC-Doku: Wenn ausländische Dialoge ins Deutsche übersetzt werden, klingt das oft so künstlich wie schlechte Reklame. Ein neues Gütesiegel soll die Synchronisations-Misere beenden. Doch nützt es wirklich etwas?

Stuttgart - Jeder Mensch ist einzigartig. Geruch, Gang und Gesicht, Hand, Fuß, Statur – zur Unverwech-selbarkeit des Individuums fehlt da eigentlich nur noch eines: seine Stimme. Sofern sie es ist. Denn während Jimmy Parsons Dr. Sheldon in der US-Serie „The Big Bang Theory“ redet wie Amerikaner eben so reden, verpasst ihm der Berliner Gerrit Schmidt-Foß für die deutsche Pro-Sieben-Fassung einen Tonfall zwischen Jerry Lewis und Bully Herbig. Wenn abends Emily Deschanel als Anthropologin „Bones“ Verbrechen löst, erinnert Ranja Bonalanas blecherne Übersetzung in der RTL-Version nur entfernt an ihr dunkles Timbre. Und auch sonst gilt für die Transformation fremder Zungen ins Heimatidiom: Mit dem Original hat sie oft wenig zu tun.

 

Wer die Fernsehhölle sucht, muss demnach nicht ins Dschungelcamp ziehen. Fiktional brennt sie in vielen der drei Dutzend Synchronstudios von Hamburg über Berlin bis München viel heißer. Für den Zwang zu aufwandsarmer Leichtverständlichkeit wird dort praktisch jeder ausländische Dialog so lange ins Stahlbad deutscher Emphase getaucht, bis es nach Klingeltonwerbung klingt. Darf man sich das Wesen importierter Werke in Skandinaviern vorwiegend untertitelt erschließen, bügelt Deutschland vom Filmklassiker bis zur Amazon-Serie, von BBC-Dokus bis zum Show-Import nämlich vieles glatt.

Dafür gibt es Gründe. Etwa die Faulheit des (vornehmlich älteren) Publikums, das sich anders als in Holland weiterhin chronisch weigert, Gesagtes am Bildschirm zu lesen statt zu hören. Auf dem Feld schnell rotierender Massenware wie „How I Met Your Mother“ oder der „CSI“-Familie herrscht außerdem enormer Kostendruck zulasten der Sorgfalt. Hinzu kommt ein notorischer Drang zur Lippensynchronität, der zwar allemal besser ist als die osteuropäische Neigung zum gelangweilten Voice-Over, aber besonders bei Formaten aus Dänemark und Schweden oft nur mit dem Schraubstock zu erzwingen ist. Alles nachvollziehbar – ganz im Gegensatz zur Lieblosigkeit im Umgang mit den Worten, die doch die Welt des Films bedeuten.

Joko Winterscheidt stümpert sich durch den neuen Minions-Film

Wenn wie im Frühjahr die Stimme des Hollywood-Profis Zach Galifianakis („Hangover“) als „LEGO-Batman“ hierzulande durch den schauspielerisch talentfreien Youtube-Star Gronkh ersetzt wird oder der zugkräftige, aber sprachlich grobe Claas-Sidekick Joko Winterscheidt durch den neuen Minions-Film stümpert, mangelt es nun mal nicht an besseren Sprechern, sondern am Respekt vorm Medium. Andererseits, das weiß auch Tobias Jahn, hat es oft sehr menschliche Ursachen, wenn die Qualität hinter der Quantität her hinkt. Vor allem der wachsende Zeitdruck, kritisierte der Aufnahmeleiter vom Marktführer Berliner Synchron unlängst in der „Süddeutschen Zeitung“, ließen „kreative Entscheidungen schwieriger werden“.

Undiplomatischer ausgedrückt: Für drei Euro Honorar pro Szene wäre Achtsamkeit am Mikro wohl auch zu viel verlangt. Branchengrößen wie Daniela Hoffmann (Julia Roberts) oder Volker Brandt (Michael Douglas) handeln zwar hohe Pauschalen aus; im Fernsehen jedoch leidet das Niveau so unterm Fließband, dass Pro Sieben zuletzt die Neuübersetzung der „Vikings“ forderte. So etwas ist aus Sicht von Tobias Neumann zwar vielfach Geschmackssache. Dennoch nahm der Mitbegründer des Synchronverbands auch Fälle wie diesen zum Anlass, ein Gütesiegel zu entwickeln.

Joachim Tennstedts Walter White versaut den „Breaking Bad“-Spaß

Wer seit Januar den Kodex der Gilde zur Achtung von „Professionalität, Originaltreue, Verlässlichkeit, Transparenz“ unterschreibt, darf das Label im Abspann zeigen. Doch Fairness und Teamwork bei genug Zeit und Geld zu garantieren, hat einen Haken: Weil fünf der sechs großen Studios im Verband sind, kriegen neun von zehn Kinofilmen und diverse TV-Formate ohne Einzelfallprüfung ihr Siegel. Für Neumann ist es daher „keine Auszeichnung im künstlerischen Sinne“, spiegelt aber Minimalstandards wider, denen sich die Koalition aus allen Gewerken vom Sprecher bis zum Tonmeister unterwirft. Ein wichtiges Signal ans Publikum, das sich seine Serien zusehends im Original streamen lässt.

Beim Rest herrscht eine Art Hassliebe zu den Stimmen ihrer Lieblinge. Als Christoph Jablonka voriges Jahr den verstorbenen Norbert Gastell als Homer Simpson ersetzt hat, löste sich die harsche Kritik der Fans daher rasch in Wohlwollen auf. Sein Geheimnis: weder Bruch noch Kopie. Doch während Robert de Niro persönlich Christian Brückners Synchronisation seiner selbst lobt, versaut Joachim Tennstedts Walter White fast allen den Spaß an „Breaking Bad“. Und entfremdet den Nachwuchs zügig vom Regelprogramm. Dass es dort nicht mehr Zweikanalton gibt, ist übrigens ein lizenzrechtliches, kein technisches Problem. Das wäre doch mal sinnvoll investiertes Gebührengeld: Gebt der Einzigartigkeit die Stimme zurück!