Stuttgarts katholischer Stadtdekan Christian Hermes ist „extrem besorgt“, dass das große Reformprojekt Synodaler Weg nicht zum Erfolg führt. Vor der letzten Versammlung klagt er über Rom und über Bischöfe, die Gläubige „wie dumme Schafe“ behandeln.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Von Donnerstag an kommen 230 Vertreter der katholischen Kirche zum vorerst letzten großen Treffen auf dem Synodalen Weg zusammen. Mit dabei ist Christian Hermes. Der Stuttgarter Stadtdekan fordert, Beschlüsse etwa zur Beteiligung der Basis an der Bischofswahl in der Diözese Rottenburg rasch umzusetzen.

 

Herr Hermes, die letzte große Synodalversammlung steht an. Haben sich die vier Jahre auf dem Synodalen Weg gelohnt?

In jedem Fall. Auch wenn der Verlauf so war, wie ich es von Anfang an befürchtet habe.

Das heißt?

Es war absehbar, dass es in Rom bei maßgeblichen Leuten überhaupt keine Bereitschaft gibt, sich auf irgendwelche Reformen einzulassen oder Vorschläge der Basis ernst zu nehmen. Dazu kommt massiver Gegenwind von einigen deutschen Bischöfen. Dennoch sind die Themen jetzt auf dem Tisch. Dies begrüßen auch Stimmen in Rom. Insofern sind wir in der historisch spannenden Situation, in der sich klärt, ob die Kirche mit der Moderne zurechtkommt oder nicht.

Viele Reformanliegen, die die Synodalversammlung vorbringt, sind aber doch nicht neu.

Das stimmt. Die Themen waren schon früher auf dem Tisch. Jetzt aber liegt die Dringlichkeit vor aller Augen. Allerdings bin ich wegen des möglichen Ausgangs extrem besorgt. Ähnlich wie beim Klima gibt es auch in sozialen Organisationen Kipppunkte, von denen an der negative Trend nicht mehr zu stoppen ist. Dieser Punkt ist bei der Kirche dann erreicht, wenn Christen mit ihrem Bekenntnis nur noch auf Verwunderung oder Ablehnung stoßen.

Wie lässt sich das verhindern?

Wir müssen zum Beispiel die Frauenfrage lösen. Eine Kirche, die Menschen nicht unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und kulturellem Hintergrund fair und gleichberechtigt behandelt, wird keine Zukunft im Namen Jesu Christi haben. In einem solchen Fall könnte die Kirche zur Sekte oder zur Selbsthilfegruppe von Modernitätsverlierern werden.

Sie sind nicht völlig überzeugt, dass bei der Synodalversammlung die richtigen Beschlüsse gefasst werden?

Wir fahren alle mit großer Spannung nach Frankfurt. Denn bei der vergangenen Versammlung kam es ja zum GAU, als ein wichtiger Beschluss nicht die notwendige Mehrheit der Bischöfe fand. Es gibt weiter einige Bischöfe, die meinen, Gläubige wie dumme Schafe oder wie Untertanen behandeln zu können.

Selbst der Vorsitzende der Bischofskonferenz rechnet damit, dass Themen wie etwa die Segnung von Homosexuellen strittig bleiben.

Wenn Bischöfe wie Laien in Frankfurt klug und vernünftig handeln, können gute Kompromisse herauskommen. Eine Prognose wage ich freilich nicht. Persönlich bin ich allerdings überzeugt, dass wir zum Beispiel mit queeren Menschen einen anderen Umgang finden müssen. Die Ehe als Sakrament steht dabei für Homosexuelle freilich nicht zur Disposition. Sie bleibt die Partnerschaft von Mann und Frau. Doch daneben gibt es andere Partnerschaftskonstellationen, die auch den Segen und den Zuspruch Gottes verdienen.

Was soll, was wird sich in der Diözese Rottenburg denn konkret ändern, wenn in Frankfurt am Ende schöne Papiere produziert worden sind?

Ich erwarte, dass unsere Diözese Konsequenzen zieht. Hier sind längst nicht alle Reformen, die gefordert werden, verwirklicht. Die Entwicklung wird allerdings zunächst stark dadurch bestimmt werden, dass Bischof Gebhard Fürst voraussichtlich im Dezember aus dem Amt scheidet. Bei der Wahl des Nachfolgers muss die Basis nun stärker beteiligt werden als in der Vergangenheit. Dabei sollte ein möglichst repräsentatives Gremium gebildet werden, das auch das Profil eines künftigen Bischofs klärt. Dazu muss das Domkapitel dringend die Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl aufnehmen. Ich hoffe sehr, dass Rom die Größe und die Klugheit besitzt, nicht über Bischofsernennungen disziplinierend in Deutschland einzugreifen – wie es noch unter Johannes Paul II. früher durchaus der Fall war.

Dass Sie eine solche Sorge umtreibt, ist erstaunlich. Könnte Papst Franziskus tatsächlich auf diese Art und Weise die Traditionalisten stärken?

Die jüngsten Absagen des Vatikan an den Synodalen Weg geschahen alle mit ausdrücklicher Billigung des Heiligen Vaters – einerseits. Andererseits hat er selbst einen weltweiten synodalen Prozess gestartet. Von daher ist nicht ganz klar, welchen Kurs Franziskus letztlich verfolgt.

Kann die Kirche mit den Ergebnissen des Synodalen Wegs die Austrittswelle aus der Glaubensgemeinschaft stoppen?

Nein. Die Entwicklung bei den Austritten ist weiter desaströs. Die Austrittsquoten haben sich bei beiden großen Kirchen in Stuttgart in etwa verdreifacht. Das hat nicht nur mit Klerikalismus, Sexualmoral oder der fehlenden Gleichberechtigung in der katholischen Kirche zu tun, sondern damit, dass der Glauben für viele Menschen nicht mehr die Bedeutung hat. Religion wird unwichtiger in diesem Lande. Deshalb müssen wir die Volkskirche zurückbauen. Die Kirche wird sich künftig auf ihren Kernauftrag konzentrieren. Wir haben danach zu fragen, wie wir das Leben der Menschen verbessern. Der Synodale Weg gehört dabei keineswegs zu den Blockbusterthemen.