Jochen Adam ist Tabakbauer in Neuried (Ortenau) – Der 40-Jährige hat den Hof von seinem Vater übernommen, und er tut das, was schon sein Großvater und sein Urgroßvater gemacht haben. Für die Zukunft setzt Adam aber auf zusätzliche Betätigungsfelder.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Ortenau - Drinnen sitzen, im Büro und sich mit Zahlenkolonnen beschäftigen? Nein – Jochen Adam schüttelt den Kopf. „Das wär nix für mich.“ In der frischen Luft bei der Arbeit den Blick in die Ferne schweifen lassen, sich am Wechselspiel von Sonne und Wolken erfreuen, das kann man als Landwirt. „Z’Ackerfahre scheint für dich eine Art Yoga zu sein“, habe seine Frau im Frühjahr verwundert ausgerufen, als der Bauer nach acht Stunden Pflügen putzmunter daheim auftauchte und einen Kinobesuch vorschlug.

 

Der Bauer Jochen Adam ist Herr über 80 Hektar Fläche rund um das Rieddorf Altenheim, das mit Dundenheim, Ichenheim, Müllen und Schutterzell zur 9200 Einwohner zählenden Gemeinde Neuried vereint ist. Der 40-Jährige hat den Hof von seinem Vater übernommen, und er tut das, was schon sein Großvater und sein Urgroßvater gemacht haben: Tabak anpflanzen. Das Ried, die Ebene westlich der Autobahn 5 bis zum Rheinufer in der Ortenau, ist das größte Tabakanbaugebiet im Land, nur südlich von Freiburg und in Nordbaden gibt es noch weitere Pflanzer.

„Die Fläche ist hier nicht viel kleiner geworden“, sagt Adam und schaut über die Felder. Aber die Zahl der Pflanzer ist gewaltig gesunken. „Dort drüben war mal einer und hier und da“, sagt er und zeigt über das Gelände, das so eben ist wie ein Brett. Im Ried gibt es noch 20, in ganz Baden-Württemberg 35 Betriebe, in Deutschland sind es 130 auf insgesamt 2100 Hektar. Die Zahlen kann Adam im Schlaf herunterbeten. Er muss sie kennen, denn der junge Bauer ist zugleich Landesvorsitzender des Tabakpflanzerverbandes.

Pflege und Ernte der Tabakpflanzen sind Marathonarbeit

220 Tonnen Tabak holt Adam pro Jahr von seinen Äckern. Hauptsächlich die Sorte Virgin. Früher gab es mehr Geudertheimer, doch der ist für Zigarren, und den produzieren jetzt andere Regionen der Welt. Das Saatgut hat Adam bereits Ende Februar in Styroporschachteln in Anzuchterde gesteckt und diese in ein überdachtes Schwimmbecken gelegt. Durch 240 Löcher hat die Nährflüssigkeit die jungen Pflanzen wachsen lassen. Die Styroporboxen werden wie Magazine auf die Pflanzmaschine gehängt. Sechs Helfer stecken je einen Setzling in die Mechanik. Stundenlang, tagelang. Nicht nur der Anbau, sondern auch Pflege und Ernte sind Marathonarbeit. Von unten nach oben muss jedes Blatt vom Stengel einzeln gepflückt werden. 40 Erntehelfer aus Osteuropa gehören neben fünf Angestellten zu den Stützen des Betriebes.

Nach der Ernte werden die Blätter, sortiert nach Qualitätsstufen, getrocknet. Nicht mehr wie früher in den großen Tabakscheunen, sondern in Containern mit Heißluft. „Die will ich bald als Fernwärme vom Badenova-Biomassekraftwerk holen“, sagt Adam. Das spart Kosten und ist umweltfreundlich. „Tabak ist viel Arbeit“, räumt Adam ein, Romantik ist im Landleben selten. Aber die Pflanzer und ihr Verband sehen sich als Teil einer uralten Kultur, die im Ried dank des Lahrer Schnupftabakfabrikanten Carl Ludwig Freiherr von Lotzbeck aufblühte. Weil Napoleon 1806 eine Wirtschaftsblockade gegen Großbritannien verhängte, bot der Freiherr den Riedbauern feste Abnahmekontingente für Tabak an. Und diese waren froh, ein Ersatzprodukt für den Hanf zu bekommen, denn Dampfschiffe brauchten weniger Taue und auch keine Segel mehr.

Billige Tabake aus dem Ausland leiteten den Niergang ein

Bereits 1885 wurde im Großherzogtum Baden jede vierte deutsche Zigarre hergestellt. Doch der Sieg der Zigarette über Zigarre und Pfeife sowie die Konkurrenz von billigeren ausländischen Tabaksorten leiteten im 20. Jahrhundert den Abstieg des kräftigen badischen Tabaks ein. Den der Pflanzer ebenso wie der „Badischen Tabakmanufaktur“ in Lahr mit der filterlosen Roth-Händle. Als dann vor fünf Jahren auch die Subventionen der EU zunächst teilweise, dann vollständig gestrichen wurden, schien der Tabakanbau am Oberrhein ganz am Ende.

„Wir leben noch“, sagt Adam mit einem Lächeln. Die Tabakindustrie hat einen Teil der entgangenen Subventionen durch höhere Preise kompensiert. Der Preis für ein Kilogramm Virgin liegt derzeit bei 3,50 Euro. Doch die Zukunft der Pflanzer ist mehr als ungewiss, der Antiraucherkurs der europäischen Regierungen drückt den Konsum. Nichtraucher Adam weiß das, aber als Lieferanten eines gefährlichen, gar gesundheitsgefährdenden Stoffes sehen sich die Tabakpflanzer samt und sonders nicht. So etwas würde man ja den Weinbauern und Schnapsbrennern auch nicht vorwerfen, es komme doch immer auf die Menge des Konsums an. Ihre Lobby bestärkt sie darin. Die Broschüre des Bundesverbandes preist die „Kulturpflanze Tabak mit ihrer ganzen Emotion, Regionalität, aber auch Internationalität“.

Jochen Adam jedenfalls denkt über den Tag hinaus. Er hat in seinem Familienbetrieb längst ein zweites und ein drittes Standbein aufgebaut: 22 000 Hühner legen Eier, teils in Bioqualität, und liefern den Rohstoff für die hofeigene Produktion von 20 Nudelsorten. Und wenn der Tabak im Herbst geerntet ist, baut Adam für den Winter andere Blätter an: Feldsalat für Bauernläden, Wochenmärkte, Gastronomie und Handel.

Die Tabakproduktrichtlinie und ihre Kritiker

Am 14. März 2014 haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine neue Tabakprodukt-Richtlinie (TPD) verabschiedet. Die neue Richtlinie schreibt für Zigaretten die weit gehende Standardisierung von Packung und Produkt vor sowie großflächige Warnhinweise mit Text und Schockbildern auf zwei Dritteln der Fläche von Vorder- und Rückseite der Verpackungen. Darüber hinaus soll der Zusatz „charakteristischer Aromen“ verboten werden. Dies betrifft in erster Linie Mentholzigaretten. Die EU-Mitgliedstaaten haben bis Mai 2016 Zeit, die neuen Bestimmungen in nationales Recht zu übertragen. Der Bundesverband Deutscher Tabakpflanzer (BDT) sieht durch die Richtlinie die Existenz der 130 deutschen Pflanzbetriebe gefährdet. Klimabedingt bauen die deutschen Tabakbauern vorwiegend den aromaärmeren Virgin-Tabak an. „Diese nikotinarmen Tabake benötigen im Verarbeitungsprozess Zusatzstoffe und werden als Fülltabak den aromareicheren, nikotinstarken Tabaksorten beigemischt“, sagt der BDT-Vorsitzende Hubert Bleile. „Ein Verbot hätte zur Folge, dass dieser nachhaltige, nikotinarme Tabak von den deutschen Tabakpflanzern nicht mehr in diesem Umfang angebaut werden kann.“ Laut dem Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung 2013 verkürzt Tabakkonsum das Leben im Schnitt um etwa zehn Jahre. Mit jährlich etwa 110 000 Todesfällen stellt das Rauchen damit das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko in Deutschland dar. Mehr als die Hälfte aller Raucher stirbt vorzeitig an Lungenkrebs, an einer Herz-Kreislauf- oder an einer Atemwegserkrankung.