Am 15. Januar hat die Stuttgarter Vesperkirche geöffnet. Die Organisatoren wussten anfangs nicht, was sie in diesem Jahr erwartet. Nach den ersten elf Tagen sieht man klarer. Und Gabriele Ehrmann, die Organisatorin, macht eine überraschende Erfahrung.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

„Das vegetarische Essen ging heute weg wie nichts“, sagt der Helfer an der Essensausgabe in der Leonhardskirche. Es ist 14 Uhr. Kurz vor Schluss. Die letzten Mittagessen werden gerade ausgegeben. Rund 700 sind es an diesem Mittwoch in der Leonhardskirche und den diversen Außenstellen. 600 Portionen waren geplant. Doch Nachschub ist kein Problem. Im Rudolph-Sophien-Stift der Evangelischen Gesellschaft, das die Vesperkirche täglich beliefert, sind fleißige Köche am Werk.

 

Knöpfle-Pilz-Pfanne mit Speck oder alternativ ohne stand diesmal auf dem Speiseplan. Ein Euro kostet das Essen. Und den Leuten schmeckt’s, wie ein Blick in die Leonhardskirche zeigt. Es ist Tag elf der Vesperkirche. 38 werden noch folgen. Noch sei es zu früh zu sagen, wie sich die gestiegenen Lebensmittelpreise auswirken und ob deshalb mehr Leute kommen als sonst, meint Diakoniepfarrerin Gabriele Ehrmann, die die Vesperkirche betreut.

Das große Bedürfnis nach Gemeinschaft

Was sie nach den ersten eineinhalb von insgesamt sieben Wochen jedoch bestimmt sagen kann, ist: „Mindestens so wichtig wie das Essen ist die Gemeinschaft.“ In dieser Form hätte Ehrmann das nicht erwartet. Der Hunger danach, wieder unter Leuten zu sein und damit auch Corona hinter sich zu lassen, sei groß. Gemeinsam Kaffee trinken, Zeitung lesen, reden. Darauf legten die Gäste Wert. Doch natürlich gebe es auch eine erhebliche materielle Bedürftigkeit. Wer hierher kommt, kann Unterstützung brauchen.

Was Gabriele Ehrmann nach den ersten Tagen außerdem sagen kann: „Unsere Teilhabeangebote werden besonders stark nachgefragt.“ Gemeint ist kostenloses Haareschneiden, Fußpflege, das ärztliche Angebot, die Suchtberatung und anderes mehr. Niederschwellig. Ohne Zugangshürden. Das alles gab es in den vergangenen zwei Jahren nicht. 2021 konnte wegen der Pandemie nur Essen zum Mitnehmen ausgegeben werden. 2022 musste die Vesperkirche ganz zubleiben. Der Nachholbedarf ist groß – und die Vesperkirche kann ihn stillen. „Kurzfristig hat sich eine Friseurin gemeldet, um mitzuhelfen“, sagt Ehrmann. Das karitative Angebot lebt davon, dass sich viele helfende Hände finden. 1600 sind es in diesem Jahr.

Und sonst? „Der Auftakt ist gut“, sagt die Pfarrerin mit zufriedenem Lächen. Alles bestens. Sowohl mit den Gästen als auch mit den ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfern. „In der Leonhardskirche herrscht eine schöne, ruhige Atmosphäre. Es gibt bisher keine Spannungen, keine Aggressionen.“ Während sie das sagt, betritt eine Gruppe Konfirmanden aus Feuerbach die Kirche. Sie kommen hierher, um etwas über die Vesperkirche zu erfahren. Überhaupt kämen viele Besuchergruppen, berichtet Ehrmann. Am Morgen waren Betriebsseelsorger hier.

Die Vesperkirche ist für viele Menschen wichtig

Und auch mit der Straßenuniversität läuft’s, die immer dienstags ein Programm anbietet. „Die Leute nehmen das gerne an“, sagt die Diakoniepfarrerin. Genauso wie das Kulturprogramm am Sonntag. Für Gabriele Ehrmann bestätigt sich, dass die Vesperkirche für viele Menschen in der Großstadt auf die eine Art oder Weise wichtig ist.

Infos

Öffnungszeiten
Die Vesperkirche Stuttgart in der Leonhardskirche hat vom 15. Januar bis zum 4. März täglich von 9 bis 15 Uhr geöffnet. Jeweils um 9 Uhr werden Kaffee und Tee ausgeschenkt. Mittagessen gibt es von 11.30 bis 14.15 Uhr. Bis 15 Uhr kann man sich mit einem Vesper eindecken.

Programm
Täglich von 12.30 bis 12.45 Uhr gibt es einen liturgischen Impuls („NachTisch“). Jeden Dienstag von 10 bis 11 Uhr ist die Straßenuniversität vor Ort. Außerdem werden ein Kulturprogramm und Seelsorge- und Beratungsgespräche angeboten. Die Vesperkirche finanziert sich ausschließlich über Spenden. Wer spenden will: Iban: DE05 6005 0101 0002 4648 33, Bic SOLADEST600.