Noch nie gab es bei einem Fußballturnier so viel Körperkunst zu bestaunen wie jetzt in Polen und der Ukraine. Von der nackten Freundin bis hin zur Jungfrau Maria – mit ihren Tattoos wollen die Spieler im Einheitstrikot ihre Individualität unterstreichen.

Stuttgart - Es hat einmal eine Zeit gegeben, da waren die kurzen Hosen der Fußballspieler wirklich kurz. Zwischen Stutzenoberkante und Höschenunternaht hat nichts als nacktes Fleisch hervorgeschaut, und das hat sich höchstens in der Stärke der Behaarung unterschieden. So wie der einzige Unterschied im Bereich der Oberarme in der Dicke des Muskelpaketes lag. Lang, lang ist’s her.

 

Wikinger, Buddhas, Drachen

Die Fußball-EM ist nun zu einer Meisterschaft der bunten Bilder geworden. Tattoos, soweit das Auge reicht. Der Däne Simon Kjaer trägt auf dem Oberarm die Jungfrau Maria, Andrej Schewtschenko aus der Ukraine hat dort das Bild eines Drachen. Der Grieche Theofanis Gekas hat sich die Worte „eiskalter Vollstrecker“ auf den Arm stechen lassen – auf Chinesisch. Ähnlich wie bei Eisbergen geben manche Spieler mit der Oberarmgemälden aber nur einen kleinen Einblick in ihr körpereigenes Gesamtkunstwerk.

Den Rücken des Dänen Daniel Agger ziert ein Wikinger-Friedhof, der Schwede Zlatan Ibrahimovic hat dort einen Buddha mit fünf Gesichtern. „Tattoos dienen dazu, Unverwechselbarkeit auszudrücken“, sagt der Psychologe Dirk Hofmeister, der an der Universität Leipzig zu diesem Thema forscht. Seit dem Beginn des von Sportlern und Popstars mitbegründeten Tattoo-Booms vor zehn bis 15 Jahren sei die Akzeptanz in der Gesellschaft stetig gewachsen. Heute seien etwa ein Viertel der jungen Erwachsenen in Deutschland tätowiert, sagt Hofmeister.

Experten sagen schon das Ende des Tattoo-Booms voraus

Oft sind Tattoos ein Zeichen der Liebe. Der Holländer Wesley Sneijder hat das Gesicht seiner Frau auf dem Bauch, der Portugiese Raul Meireles das Abbild seiner Freundin – im roten Bikini – auf dem Arm. Tim Wiese hat seine Frau dort ganz hüllenlos. Das ist nicht immer ungefährlich, schließlich hält manch eine Beziehung deutlich kürzer, als die schwer zu beseitigende Körperkunst. „Laserstudios boomen“, sagt Hofmeister, der das allerdings nicht nur auf die Notwendigkeit zurückführt, alte Liebesschwüre wieder zu entfernen. „Wir erwarten, dass es den Trend zum Tattoo nicht mehr lange gibt, sagt der Leipziger Forscher. Seine Prognose stützt er auf Studien in Neuseeland und den USA, wo die Zufriedenheit mit der Tätowierung abnimmt.

Der italienische Nationaltorwart Gianluigi Buffon hat sich demnach schon vor eineinhalb Jahren als wahrer Trendsetter gezeigt, als er in einem Interview sagte, dass er und seine Frau wohl das einzige tatoofreie Paar im europäischen Fußball seien. Das ist natürlich ein wenig übertrieben, schließlich ist auch Mario Gomez’ Astralkörper eine unbemalte Zone. Aber mit Blick auf Buffons Landsleute mag man dem Italiener verzeihen. Im Training hat er schließlich täglich Typen wie Daniele de Rossi vor sich, der sich auf die Wade das Warnschild „Achtung, grätschender Fußballer“ stechen ließ.

Von einem Problem des tätowierten Normalverbrauchers ist die bunte Fußballergemeinde natürlich befreit: die nicht gerade geringen Kosten für die Entfernung des Körperschmuckes stellt für EM-Stars kein Problem dar. Ulrich Ziegler, plastischer Chirurg in Stuttgart, schätzt die Kosten für das Rückgängigmachen einer kompletten Armmalerei auf etwa 2000 Euro. „Das geht nur mit Laser“, sagt der Arzt, der selbst Tattoos auf operativem Wege entfernt. Dem OP-Besteck können jedoch nur kleinere Gemälde zum Opfer fallen. Egal ob groß oder klein, ob Fußballstar oder Fußballfan: die Kasse zahl nie, auch nicht für Folgekosten.