Die Tafel in Stuttgart feiert dieses Jahr 20. Geburtstag. Den Laden in Bad Cannstatt gibt es seit 2004. Welche Produkte sich in den Regalen finden, ist jeden Tag aufs Neue eine Überraschung.

Bad Cannstatt - Der Mitarbeiter mit der Schürze balanciert die grüne Kiste hoch über seinem Kopf. Er versucht, sich einen Weg bis zum Regal in der Mitte des Tafelladens zu bahnen, und wird dabei erwartungsvoll beobachtet. In einer Traube ringen einige Kunden an der Holzkonstruktion, auf der die Kiste gleich landen soll, um den besten Platz. Dann geht es blitzschnell: Kaum ist die Kiste abgestellt, ist sie auch schon wieder leer. „Kartoffeln sind eben eine Rarität“, sagt der Ladenleiter Norbert Matheis und zuckt die Achseln. Alltag im Tafelladen an der Brückenstraße. Seit 2004 gibt es ihn. Neun Jahre zuvor wurde die Schwäbische Tafel Stuttgart ins Leben gerufen, im Sommer dieses Jahres hat der Verein 20. Geburtstag gefeiert.

 

Ware entgegennehmen, putzen, Regale auffüllen

Das Wort Rarität benutzt Norbert Matheis oft, wenn er vom Tafelladen erzählt. Eier und Tomaten gehören dazu, aber vor allem nicht leicht verderbliche Ware wie Nudeln, Konserven oder Süßigkeiten. Trotzdem: Aufs Jahr gesehen komme doch fast ein Vollsortiment zusammen, sagt Matheis. Nicht zu wissen, welche und wie viel Ware am Tag kommt, mache den Job so spannend. Seit acht Jahren arbeitet der ehemalige Filialleiter einer Discounterkette bei der Schwäbischen Tafel, seit Anfang 2015 im Cannstatter Laden. So sehr unterscheide sich die Arbeit zwischen freier Wirtschaft und sozialem Verein gar nicht, findet der 58-Jährige. „Nur ist man hier noch mehr mit dem Herz dabei.“

Matheis und sein Stellvertreter sind die einzigen Festangestellten im Tafelladen. Gemeinsam mit langzeitarbeitslosen Ein-Euro-Jobbern und Ehrenamtlichen stemmen sie die Arbeit. Immer wieder gebe es Hilfe von Leuten, die Sozialstunden leisten müssen, sagt Matheis. Schon morgens um sieben beginnt für die ersten Mitarbeiter die Schicht. Ware entgegennehmen, putzen, Regale auffüllen. Um 10 Uhr öffnet sich dann die Tür, vor der sich meist schon eine Schlange gebildet hat.Bis 13 Uhr und noch mal von 14 bis 16 Uhr wird verkauft.

Ein Salatkopf für zehn Cent

450 bedürftige Kunden sind es täglich. Ein Mitarbeiter kontrolliert am Eingang, ob sie berechtigt sind, im Tafelladen einzukaufen. Hartz IV-Empfänger, Bonus-Card-Besitzer oder Rentner mit niedrigen Bezügen bekommen den Berechtigungsschein. Gerade beim ersten Besuch sei die Scham oft sehr groß, erzählt Matheis. Es ist nur eine kleine Stufe am Eingang des Ladens. „Für manche ist sie schier unüberwindbar.“

Auch drinnen stehen die Kunden Schlange, im Akkord geben die Mitarbeiter an der Brottheke Backwaren vom Vortag aus. Eimer dienen im Laden als Einkaufskorb. „Sie sind weniger sperrig, und wir können sie anbohren, dann sind sie nutzlos und werden nicht geklaut“, erklärt Matheis. Bis zum Rand füllen sie die Kunden – hauptsächlich Frauen – mit Milchprodukten, Gemüse oder Tiefkühlpizza – die Rarität dieses Tages. Dann geht es zur Kasse. Die Preise sind niedrig: Ein Laib Brot kostet 50, ein Salatkopf oder ein Joghurt 10 Cent.

Krummes Gemüse oder Druckfehler im Etikett

Auch im Lager geht es emsig zu. An einem großen Edelstahl-Tisch sortieren Mitarbeiter Ware. Im Hof werden die Transporter abgeladen, die Fahrer nutzen die Zeit für einen Plausch. Seit 2003 arbeite er für die Tafel, erzählt einer von ihnen, ein einstiger Besitzer einer Spedition. „Ich würde es nicht ändern wollen, ich bin zufrieden“, sagt er. Krankheit, Scheidung, Bankrott der Firma – einen festen Job findet er wie die anderen Langzeitarbeitslosen nicht mehr, erklärt Matheis. „Unsere Mitarbeiter haben ihr Päckchen zu tragen.“

Die Ware, die im Cannstatter und den anderen drei Läden der Schwäbischen Tafel verkauft wird, kommt von Supermärkten, Bäckereien und anderen Einzelhändlern. Sie spenden 1B-Ware, also etwa Gemüse, das nicht schön genug ist, Produkte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum näher rückt oder deren Etikett schlicht einen Druckfehler hat. In Bad Cannstatt gibt es eine eigene Tour, fast alle lokalen Supermärkte, aber auch kleinere Familienbetriebe spenden an die Tafel. Auch vom Frühlings- und Volksfest bekommt der Verein Ware oder auch vom Großmarkt, wie Norbert Matheis erzählt. Da seien dann schon mal außergewöhnlich Produkte wie eine Sternfrucht dabei. Echte Raritäten eben.