Die Essener Tafel hat seit kurzem für bedürftige Menschen ohne deutschen Pass eine Warteliste eingeführt. In der Schwäbischen Tafel an der Hauptstätter Straße hält man davon nichts. Ein Besuch am Morgen.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Schon vor 10 Uhr hat sich im Vorraum ein Pulk gebildet. „Bitte nehmen Sie Rücksicht“, steht auf einer Tafel in vier Sprachen. Um 10 Uhr öffnet der Tafelladen an der Hauptstätter Straße seine Türen. Kurz danach herrscht in den Gängen schon Gedränge, vor allem vor den Gemüseständen und am Kühlregal. Trotzdem geht es gesittet zu, niemand schubst andere Kunden weg. Aber die Regale mit den frischen Waren leeren sich schnell. Hinten im Lagerraum stehen deshalb etwa 80 Mitarbeiter an Tischen und vor Kartons und bereiten bereits die nächste Runde vor. Gegen 11 Uhr etwa werden die Regale erneut aufgefüllt. Dieser Tage kam eine Riesenspende Popcorn rein. „Drei Sattelzüge voll haben wir gespendet bekommen“, erzählt die Leiterin Susanne Tylingo.

 

Die Essener Tafel steht derzeit sehr in der Kritik

Die Tafeln leben von Lebensmittelspenden. Sämtliche Lebensmittelketten, Großmärkte und auch Tankstellen in der Region zählen zu den Spendern, die Essen kurz vor dem Ablaufdatum an die Tafel abgeben. Vollsortimenter sind die Tafeln deshalb aber nicht. Es gibt, was bei den Läden angekommen ist. Radieschen gebe es derzeit Unmengen, auch Milchprodukte habe man ausreichend, anderes Gemüse sei in der Winterzeit leider rar.

Deshalb ist die Menge, die Kunden kaufen dürfen, auch begrenzt – sie hängt von der Haushaltsgröße ab. Wenn es zum Beispiel an einem Tag nur ganz wenige Pfirsiche gibt, dann darf jeder auch mal nur ein Stück mitnehmen. Trotzdem gilt: „Jeder ist bei uns willkommen, der bedürftig ist“, sagt Tylingo. „Unterschiede nach Nationalitäten machen wir bei uns nicht.“

Vorige Woche war bekannt geworden, dass die Essener Tafel seit Anfang des Jahres bedürftige Menschen ohne deutschen Pass nur noch auf eine Warteliste setzt. Zu viele Probleme habe es dort gegeben, vor allem mit Asylbewerbern; viele deutsche Rentner, besonders Frauen, seien der Tafel deshalb ferngeblieben, hieß es von dem Vorstand der Essener Tafel, Jörg Sartor. Seitdem steht er landauf, landab unter Beschuss – positiv und negativ.

Sicher, viele Kunden, die täglich in die Schwäbische Tafel kommen, hätten einen Migrationshintergrund. „Im Gedränge macht es keinen Unterschied, ob jemand Deutscher ist oder eine andere Nationalität hat“, betont Tylingo, die seit sieben Jahren bei der Schwäbischen Tafel arbeitet, erst in Fellbach, nun an der Hauptstätter Straße.

Im Gedrängel macht es keinen Unterschied, wo jemand her kommt

Im Jahr 2015 sei man plötzlich mit etwa 140 Flüchtlingen konfrontiert gewesen, von denen die meisten nicht einmal wussten, was eine Tafel genau ist, erzählt Tylingo. „Da mussten wir viel sprechen, viel erklären.“ Auch bei den Stammkunden haben sie viel um Verständnis geworben – und dieses meistens auch bekommen. Viele Geflüchtete helfen im Laden mit. Einige wenige Unverständige habe sie dann auch mal mit nach hinten in den Lagerraum genommen und gesagt: „Schau mal, die arbeiten dort hinten für eure Ware.“ Das habe geholfen. Vereinzelte Unbelehrbare gibt es natürlich immer. „Aber die ganze Welt retten, das schaffen wir nicht“, sagt Tylingo dazu. Im Großen und Ganzen habe man „durchweg gute Erfahrungen“ gemacht.

Susanne Tylingo kann sich aber gut vorstellen, dass der Essener Vorstand aus Überforderung so gehandelt hat. Manche Tafeln leisten die Arbeit nur mit Ehrenamtlichen – das ist in Stuttgart anders. Die Leiter sind hauptamtliche Kräfte. Aus Tylingos Sicht bietet der Bundesvorstand viel Unterstützung. „In Stresssituationen gehen manche Kollegen dann doch in die falsche Richtung“, vermutet sie. Was könnte die Politik ändern? „Vieles“, sagt sie nur.

Klar war immer: „Wir machen das.“

Natürlich habe man viel Fantasie gebraucht, um sich Maßnahmen zu überlegen, als plötzlich über hundert Menschen mehr in der Tür standen. Aber die Frage, ob man das schafft, habe man sich nie gestellt. Es war klar: „Wir machen das.“