Wie peinlich: Sobald sich die Fahrstuhltür schließt, verstummen alle Gespräche. Der „Tag der Aufzugsplauderei“ soll dieses Phänomen nun bekämpfen.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Stuttgart - Die Feststellung ist schon viele Jahre alt, aber sie hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt: Warum, um Himmels willen fällt es so schwer, im Fahrstuhl den Mund aufzumachen? „Kaum ist die Kabinentür durchschritten, verwandelt sich selbst die geselligste Runde in einen Kreis der Andacht und Besinnung, als sei man nicht auf dem Weg zur Arbeit, sondern zur Kirche“, beschreibt es ein erfahrener Kollege.

 

Tatsächlich gibt es ausgefeilte Techniken, um die Zeit im Aufzug zu überbrücken. Schweigend stieren die Fahrgäste auf die Lichtpunkte, die die Etagen hinaufklettern und Hoffnung auf baldige Errettung aus dem Schacht der Stille versprechen. Manche mustern die Maserung des Holzimitats an den Wänden, andere prüfen mit strengem Blick den Zustand ihrer Schuhe, und einige üben sich zum hundertsten Mal in Arithmetik, indem sie berechnen, wie viel jeder wiegt, wenn 18 Personen oder 1350 Kilogramm den Fahrstuhl bevölkern.

66 Prozent der Menschen verstummen

Endlich, endlich liegt nun auch der wissenschaftliche Beleg dafür vor, dass es sich bei Aufzügen um effektive Wortvernichtungsanlagen handelt. Wie das Meinungsforschungsinstitut Yougov im Auftrag von „Thyssen-Krupp Elevator“ herausgefunden haben will, bringen zwei Drittel der Kabinengäste kein Wort mehr heraus, sobald sich die Tür hinter ihnen schließt und die Fahrt beginnt. Im Anbetracht von weltweit sieben Milliarden Aufzugsfahrten täglich sei dies eine erschreckend hohe Zahl ausgelassener Chancen, sich im gepflegten Smalltalk zu üben. Dabei verteidigen sich 23 Prozent der Befragten allerdings damit, dass sie generell nicht gerne mit Fremden sprächen.

Womöglich handelt es sich beim Aufzugsschweigen also um eine erzieherische Weichenstellung, die schon in frühester Kindheit erfolgt. Tabu sind laut Lift-Knigge auf jeden Fall Horrorgeschichten und Fragen wie: „Und was ist, wenn wir stecken bleiben?“ oder „Ob der Fahrstuhl unser Gewicht aushält?“ Schließlich gibt es auch Menschen mit Platzangst oder Panik vor Aufzügen.

Wie dem auch sei. Es dürfte eine Aufzugsfahrt anlässlich der Einweihung der 232 Meter hohen Aussichtsplattform des Rottweiler Aufzugstestturms vor einem Jahr gewesen sein, die Thyssen-Krupp dazu brachte, die Stille im Fahrstuhl grundsätzlich erforschen zu lassen. Quälend lange 30 Sekunden standen damals der Chef der Aufzugssparte, Andreas Schierenbeck, und der Rottweiler Oberbürgermeister Ralf Broß dicht an dicht und wollten einfach nicht ins Gespräch finden – bis die Kabine endlich öffnete.

Beyoncé ja, Donald Trump nein

Früher bekämpfte man solche peinlichen Momente mit noch peinlicherer Fahrstuhlmusik. Heute stehen dem Unternehmensmarketing subtilere Mittel zur Verfügung. Schließlich gibt es das große Vorbild Amerika, wo im Kampf gegen die schweigende Mehrheit der letzte Juli-Freitag seit langem als „Talk in an Elevator“-Day gefeiert wird.

Höchste Zeit, den Ehrentag ins Deutsche zu übersetzen und als „Tag der Aufzugsplauderei“ zu bewerben, auch weil sich so weitere Erkenntnisse der Umfrage verbreiten lassen. So würden die wenigsten Fahrgäste US-Popikone Beyoncé aus der Kabinentür schubsen, während andererseits kaum jemand mit Politikern wie Nordkoreas Diktator Kim Jong-Un und US-Präsident Donald Trump in den Keller fahren möchte. Dann lieber Treppen steigen. Wobei: das gibt beim Quatschen Seitenstechen.