Schon sitzen alle Gäste, der Fernsehpfarrer hat die Gemeinde mit launigen Worten auf den Tag eingestimmt, da betreten Angela Merkel und Joachim Gauck als Letzte die Stiftskirche. Philipp Rösler hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits die Geschichte der Stiftskirche erklären lassen, die bis ins Jahr 1170 zurückreicht, und dabei einiges über den württembergischen Reformator Johannes Brenz erfahren. Darüber verliert der katholische Erzbischof Robert Zollitsch in seiner Predigt naturgemäß kein Wort. Er erinnert an die Montagsdemos in der DDR. Die friedliche Revolution ging auch von den Gotteshäusern aus, beispielsweise bei den Friedensgebeten in der Leipziger Nikolaikirche.

 

Der Tag der Einheit mache deutlich, „welche Wende, ja welches Wunder sich in unserem Land ereignet hat“, sagt Zollitsch. Freiheit, Würde, Einheit und Solidarität seien keine Worte aus dem Geschichtsbuch, ergänzt der evangelische Landesbischof Frank Otfried July, der nicht nur über Deutschland redet, sondern auch über das Schicksal von Flüchtlingen, die hierzulande eine neue Heimat suchten. Ein knappes Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung ist die Einheit des Landes nicht mehr nur eine Frage von Ost und West.

Feierlichkeiten sind in 16 Jahren wieder in Stuttgart

Der Gottesdienst endet mit einem Orgelspiel. Vor dem Eingang der Stiftskirche brummen bereits die Motoren der Limousinen von Angela Merkel und Joachim Gauck. Fast alle Prominenten haben sich auf den Weg zum Festakt in der Liederhalle gemacht. Da erst verlässt die Kanzlerin die Stiftskirche und entdeckt eine Gruppe aufgeregt schnatternder Mädchen: „Ihr habt doch hier gerade gesungen, oder?“, sagt Merkel, und schon steht sie mitten in einer Traube junger Sängerinnen: Gruppenbild mit Dame. Dann sitzen Merkel (Autokennzeichen: 0 – 2), der Bundestagspräsident Norbert Lammert (1 - 1) und der Bundespräsident Joachim Gauck (0 - 1) in ihren Fahrzeugen und brausen, eskortiert von Polizeimotorrädern, an der Schillerstatue vorbei. Der Dichter schweigt zu alledem. In 16 Jahren wird Stuttgart wieder die Feiern zum Tag der Deutschen Einheit ausrichten – dann mit anderen Hauptdarstellern.