In fast allen Krisengebieten sind sie im Einsatz: die humanitären Helfer der großen und kleinen Hilfsorganisationen. Sie sind da, wenn die größte Not gelindert werden muss. Doch immer öfter geraten sie selbst zwischen die Fronten.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Berlin - Wenn eine Naturkatastrophe ein Land heimsucht, in Afrika eine Ebola-Epidemie ausbricht oder Menschen in Syrien oder dem Sudan vor Krieg und Verderben fliehen, bleiben sie vor Ort: Die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen versuchen, mit ihrer Arbeit die allergrößte Not zu lindern. Nach UN-Angaben benötigen inzwischen weltweit mehr als 60 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Ob Essen, Zelte oder Kleidung – alles muss an meist gefährliche Orte gebracht und verteilt werden. Dafür riskieren die Helfer nicht selten ihr Leben. Der Internationale Tag der humanitären Hilfe, der alljährlich am 19. August begangen wird, honoriert diesen Einsatz.

 

Für Jürgen Lieser, viele Jahre lang für die Hilfsorganisation Caritas im Einsatz, ist humanitäre Hilfe aber nicht nur das Verteilen von Hilfsgütern in Krisengebieten. Für ihn, so lautet seine Überzeugung, ist sie ein Zeichen der Menschlichkeit inmitten von Barbarei, Unterdrückung, Vertreibung und Gewalt. Sie zeige, dass Menschen sich in ihrem Handeln nicht nur von der Gier nach Macht und nach Geld bestimmen ließen, sondern von der Barmherzigkeit.

Wichtig: Menschlichkeit und Neutralität

Das Auswärtige Amt in Berlin, das nach eigenen Angaben zur Bewältigung menschlicher Krisen im vergangenen Jahr weltweit mehr als 358 Millionen Euro eingesetzt hat, formuliert seine Leitgedanken eher pragmatisch. Die Regierung orientiere sich an den humanitären Prinzipien der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit, heißt es auf der Homepage des Außenministeriums. Das bedeutet, dass die Bundesregierung das Leid auf der ganzen Welt im Auge hat und zu lindern versucht, nicht nur an einigen ausgesuchten Orten (Menschlichkeit).

Zudem muss die humanitäre Hilfe geleistet werden, ohne dass in Konflikten einer der Parteien der Vorzug gegeben wird (Neutralität). Auch sollte die Hilfe ausschließlich aufgrund der Bedürftigkeit geleistet werden – ohne Diskriminierung zwischen betroffenen Bevölkerungsgruppen (Unparteilichkeit). Und schließlich dürfen humanitäre Ziele nicht politischen, wirtschaftlichen, militärischen oder sonstigen Zielen untergeordnet werden (Unabhängigkeit). Der einzige Zweck der Hilfe ist also, unterstreicht das Ministerium, das Leiden der Opfer zu vermeiden oder zu lindern.

Die Menschen sollen zur Selbsthilfe ermuntert werden

Einig sind sich alle Helfer darin, dass die humanitäre Hilfe so geleistet werden muss, dass die Menschen, denen die Hilfe gilt, nicht in ihrer Würde verletzt werden. Das bedeutet, Menschen nicht auf ihr Elend und ihre Not zu reduzieren. Sie dürfen also nicht nur als Hungernde, Flüchtlinge oder Frierende gesehen werden, für deren Not schnell und effizient eine Lösung gefunden werden muss. Menschen dürften durch die Hilfe nicht entmündigt werden, unterstreicht der ehemalige Caritas-Mann Jürgen Lieser mit Nachdruck. Sie müssten motiviert werden, an die eigene Kraft zu glauben und die eigenen, fast immer vorhandenen Selbsthilfekräfte zu mobilisieren. Diesem Anspruch gerecht zu werden sei in Zeiten des Krieges nicht immer einfach, sagt Insa Deimann, die für das World Food Program (WFP) im Südsudan unterwegs ist. In manchen Fällen sei es wichtiger, die Menschen zuerst einmal mit Essen zu versorgen, sagt Deimann (siehe das Interview auf dieser Seite).Inzwischen kämpfen die Helfer auch verstärkt mit einem anderen Problem. „In den vergangenen Jahren ist es immer wahrscheinlicher geworden, dass Helfer bei ihrer Arbeit selbst zu Opfern werden“, erläutert der Caritas-Mitarbeiter Matthias Schmidt-Eule. Wie der letzte Sicherheitsbericht für Krisenhelfer der Vereinten Nationen deutlich macht, ist aber vor allem in Kriegsgebieten die Gefahr gestiegen, zwischen die Fronten zu geraten. So waren 2012 die Helfer 167-mal in schwere Zwischenfälle verwickelt, das heißt, sie wurden getötet, schwer verletzt oder über einen längeren Zeitraum gefangen gehalten. 2012 zählte Syrien zu den gefährlichsten Pflastern für die Helfer. 18 gewaltsame Zwischenfälle wurden gemeldet, 22 Helfer wurden getötet oder schwer verwundet. Schmidt-Eule: „In manchen Konflikten zählen die humanitären Prinzipien längst nichts mehr.“

Immer mehr Helfer werden entführt

„Zugenommen hat vor allem die Zahl der Entführungen“, sagt der Caritas-Mann. Laut Angaben der Vereinten Nationen hat sich deren Zahl in den vergangenen zehn Jahren mehr als vervierfacht. Ein schwacher Trost für die Betroffenen ist in diesem Fall, dass 80 Prozent der Entführten mit dem Leben davonkommen. Der Grund für die Entführungen liege in den meisten Fällen auf der Hand, erklärt Matthias Schmidt-Eule. Viele Gruppen wollten einfach Geld erpressen oder Angst verbreiten, andere zielten auch auf den Medieneffekt im Westen. „Wenn ein westlicher Helfer entführt wird, steigt das Interesse der Weltöffentlichkeit an dem Konflikt schlagartig“, erklärt der Caritas-Mann die einfache Gleichung. Manche Gruppen erhofften sich dadurch mehr Unterstützung für ihre Sache.

Parteilichkeit ist verpönt

Die Gefahr, in einen Konflikt hineingezogen und damit Ziel von Anschlägen zu werden, steige auch, wenn die Helfer nicht mehr als neutrale Akteure in einem Konflikt wahrgenommen werden, sagt Schmidt-Eule. Das habe in Afghanistan zu Reibungen zwischen der deutschen Regierung und der Caritas geführt. Vor vier Jahren hatte der damalige Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) militärisches Handeln und zivilen Aufbau in Afghanistan systematisch miteinander verzahnen wollen. Das wollte die Hilfsorganisation allerdings nicht und verzichtete auf einige Millionen Euro Unterstützung aus dem Bundeshaushalt. Politische Unabhängigkeit sei für die Helfer in den Krisengebieten vor Ort überlebenswichtig, um nicht zur Zielscheibe von Aufständischen zu werden, unterstreicht Schmidt-Eule. Das sei damals sicher alles gut gemeint gewesen, fährt er fort, „aber am Ende zählt nicht unsere gute Absicht hier in Deutschland, sondern die Wahrnehmung vor Ort“.