Interview - In Deutschland haben etwa 300 000 Menschen keine eigene Wohnung, 25 000 von ihnen leben auf der Straße. Eine neue Untersuchung der TU München, die Seewolf-Studie, zeigt, dass zwei Drittel der Wohnungslosen psychisch krank sind.
Frau Brönner, was ist das Besondere an Ihrer Studie zu Wohnungslosigkeit?
Es ist die größte und umfangreichste Untersuchung zu der Thematik im deutschen Raum. Wir haben 232 Menschen psychologisch, neuropsychologisch und körperlich untersucht. Bei einem Drittel durften wir die ärztlichen Unterlagen zur Krankengeschichte einsehen. So konnten wir die medizinische Geschichte der Personen nachverfolgen und mit aufnehmen.
Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Wir haben festgestellt, dass 93 Prozent mindestens einmal im Leben eine psychiatrische Erkrankung haben oder hatten. Wir haben dann konkret untersucht, ob erst die psychische Erkrankung oder die Wohnungslosigkeit bestanden hat.
Welches Problem war zuerst da?
Zwei Drittel der Menschen waren schon vor der Wohnungslosigkeit in psychiatrischer Behandlung.
Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Einerseits zeigt es uns, dass die psychiatrische Erkrankungsrate seit einer ähnlichen Untersuchung, der Fichter-Studie, aus den 90er Jahren gleich hoch geblieben ist. Andererseits zeigt es, dass gerade in diesem Bereich die Versorgung ausgebaut werden muss.
Wie kann das konkret aussehen?
Man muss die Kooperation zwischen psychiatrisch-medizinischer Versorgung und den Wohnungsloseneinrichtungen fördern und verbessern.
Sind die Mitarbeiter der Wohnungslosenhilfe nicht überfordert mit dieser Aufgabe?
Das ist genau das Problem. Sozialpädagogen sind in der Regel nicht auf psychiatrische Erkrankungen spezialisiert. Zusätzliches medizinisch-psychiatrisch ausgebildetes Personal wird dringend benötigt.