Warum Archive mehr leisten als Akten anzuhäufen – Das Stadtarchiv hat seine Räume geöffnet und zeigt bis Mai eine Ausstellung.

Stuttgart - Archive haben viele Aufgaben: Sie übernehmen, bewerten und erhalten Unterlagen, machen sie der Forschung und Bürgern zugänglich, sind in der Bildungsarbeit tätig und organisieren Ausstellungen. Doch damit nicht genug. Wenn es nach Roland Müller geht, leisten Stadtarchive noch einiges mehr: „Demokratie und Bürgerrechte sind der Mittelpunkt der archivarischen Arbeit“, sagt der Direktor des Stuttgarter Stadtarchivs in Bad Cannstatt, das sich am Samstag am bundesweiten Tag der Archive beteiligte.

 

Demokratie und Bürgerrechte, so lautet das Motto, auf das sich der Verband der Archivarinnen und Archivare in diesem Jahr für seinen alle zwei Jahre stattfindenden Tag geeinigt hat. Das kommt Roland Müller sehr gut zupass, denn mit der seit vergangenen Dezember laufenden Ausstellung „Kessel unter Druck“ setzt das Stadtarchiv bereits genau auf dieses Thema. Die Ausstellung, die noch bis Anfang Mai zu sehen ist, beschäftigt sich mit Stuttgarter Protestbewegungen von 1945 bis 1989. „Das war natürlich purer Zufall, dass das Thema jetzt so gut zum Motto des Tages der Archive passt“, sagt Müller.

Handeln der Verwaltung überprüfen

Was haben Bürgerrechte und Demokratie nun aber mit Archiven zu tun? „Die Bürger können anhand von Unterlagen das Handeln der Verwaltung überprüfen und nachvollziehen“, erklärt Roland Müller. In autokratischen Systemen sei genau das nicht möglich. Diese Funktion mache Archive systemrelevant. Laut Gesetz legen Archivare fest, welche Dokumente ins Archiv kommen und welche nicht.

Dabei sind sie auf die Mitarbeit der Verwaltung angewiesen, um die es nicht immer zum Besten bestellt ist. „Beim NSU-Prozess hat man ja gesehen, dass wichtige Dokumente geschreddert worden sind“, so Roland Müller. Was die Stuttgarter Verwaltung seit 1945 gemacht hat und warum, das können alle Interessierten online einsehen. Möglich macht es das 2009 angelegte digitale Langzeitarchiv, eines der ersten in Deutschland überhaupt. Natürlich nutzten die Bürger die Institution aus unterschiedlichen Gründen, so Müller: zum Beispiel um auf ganz private Spurensuche zu gehen, oder einen nostalgischen Impuls zu verfolgen.

Interesse an Lesesaal

Neben der Ausstellung „Kessel unter Druck“ gab es am Samstag Archivfilme des SWR über Proteste zu sehen. Einer zeigte die erste Demonstration von Lesben und Schwulen in der Landeshauptstadt, ein anderer dokumentiert eine Sitzblockade vor dem Hauptquartier des European Command der amerikanischen Streitkräfte in Vaihingen. Großes Interesse zog außerdem der runderneuerte Lesesaal mit 33 Plätzen auf sich, in dem Besucher Archivunterlagen einsehen können, sowie die Bibliothek mit mehr als 51 000 Medien.