Vor 50 Jahren starb Ernst Otto Osswald, der Architekt des Tagblattturms. Das Bauwerk symbolisiert nicht nur seinen Lebensweg.

Stuttgart - Halb Stuttgart strömte herbei, als am 5. November 1928 das Turmhaus des "Neuen Tagblatts" an der Eberhardstraße eröffnet wurde. 8000 Tonnen schwer, auf Pfählen und einer anderthalb Meter dicken Platte aus Eisenbeton, stand es im feuchten Untergrund nahe des Nesenbachs. 18 Stockwerke ragte es empor, 61 Meter hoch. Es war, aus dem damals noch kaum bekannten Baustoff Stahlbeton gegossen, das bis dahin höchste und modernste Bürohaus der Weimarer Republik.

Sein Architekt, der damals 48-jährige Ernst Otto Osswald, erläuterte mit einigem Pathos, was er sich beim Entwerfen gedacht hatte: "Das ist kein Kirchturm früherer Zeiten mehr, der sich in Himmelbläue verliert, auch kein Aussichts- und Festungsturm, in den nur ein paar Nutzungsräume eingebaut sind, sondern ein erdverbundenes Haus, menschlicher Arbeit und menschlichem Wollen gewidmet, ein sieghaftes Zeichen unserer kämpfenden Zeit.

"Heute noch, 82 Jahre später, bleiben immer wieder Touristen und Einheimische an der Eberhardstraße stehen, um halb fragend, halb bewundernd an der Fassade hinaufzublicken. Nicht von ungefähr erinnert das Haus an die Ideen des Neuen Bauens im Stil des Bauhauses; die Weißenhofsiedlung am Killesberg wurde im gleichen Jahr angelegt. Unter den Gebäuden, die die Innenstadt kennzeichnen und von den Höhen ringsum sichtbar sind, ist der Tagblattturm heute ein Klassiker. Die Geschichte seiner Entstehung, gar der Name seines Erbauers - das Wissen darüber ist verblasst. Fritz Leonhardt und seinen Fernsehturm, Paul Bonatz und seinen Bahnhof kennen viele. Doch wer war Ernst Otto Osswald? Und wer steckte hinter dem "Neuen Tagblatt", das dem Turmhaus, wie es anfangs genannt wurde, seinen Namen gab?

Mit dem "Neuen Tagblatt" fing alles an


Nimmt man es historisch genau, so beginnt die Geschichte dieses markanten Bauwerks am Heiligen Abend des Jahres 1843. Zu diesem besonderen Datum gründete der schwäbische Buchdrucker und Verleger Friedrich Müller sein "Neues Tagblatt für Stuttgart und Umgegend", wie es offiziell hieß. Aus kleinen Anfängen wuchs es zur wichtigsten Zeitung weit und breit. Seit der Industrialisierung in den 1880er Jahren, als Daimler und Bosch in Stuttgart ihre Werke gründeten, war das "Neue Tagblatt" die liberale Stimme Württembergs. 1908 beehrte sogar König Wilhelm II. den Verlag mit seinem Besuch. Ohne ernsthaft Schaden zu nehmen, überstand das "Tagblatt" den Ersten Weltkrieg. 1924 wagte sein weitsichtiger Generaldirektor Carl Esser einen mutigen Schritt in die Zukunft seiner Zeitung. Ihr künftiges Domizil sollte, weit sichtbar, ein Zeichen setzen - ein Ausrufezeichen!

An dieser Stelle kommt Ernst Otto Osswald ins Spiel. 1880 war er in Stuttgart geboren. Sein Vater, Spross einer Bauernfamilie aus Ossweil bei Ludwigsburg, war Bauarbeiter, die Mutter betrieb an der Ecke Schwab- und Elisabethenstraße im Westen eine kleine Wirtschaft. Bescheidene Verhältnisse einer Arbeiterfamilie. Die Eltern starben früh, Osswald aber verfolgte seine beruflichen Ziele konsequent. Elfriede Grunow-Osswald, die Schwiegertochter, die seinen Lebensweg gründlich erforscht hat, schreibt: "Er schwänzte die Schule, weil er Spannenderes zu tun hatte. Solches Verhalten wurde nicht toleriert - mit 15 Jahren begann er seine Ausbildung beim Architekten Schiller an der Hasenbergsteige."

Ernst Otto Osswald wollte bauen und gestalten. Er lernte an der Königlichen Baugewerkschule, arbeitete noch vor der Jahrhundertwende als Bauzeichner in Basel, kehrte zurück und verließ die Baugewerkschule mit Belobigung. Danach diente er bei den berühmten Olga-Grenadieren, studierte später an der renommierten Technischen Hochschule und arbeitete schließlich, der erste Höhepunkt seiner Laufbahn, im Büro des angesehenen Architekten Theodor Fischer. Der entwarf unter anderem das Kunstgebäude am Schlossplatz, sein Schüler Osswald arbeitete daran mit.