Nach langem Rechtsstreit ist das erste Tagebuch eines Guantanamo-Gefangenen veröffentlicht worden. Der bis heute dort festgehaltene Terrorverdächtige Mohamedou Ould Slahi beschreibt dort Jahre der Demütigung und der Quälerei.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Der erste Satz aus Frank Kafkas Roman „Der Prozess“ wirkt wie ein Leitmotiv für das Guantanamo-Tagebuch von Mohamedou Ould Slahi. „Jemand riss mir meine Kleider mit einer Art Schere vom Körper“, so schreibt er in einem der ersten Sätze des Buches über seine Verschleppung aus Jordanien nach Afghanistan: „Was soll das um alles in der Welt? Ich fing an, mir Sorgen zu machen wegen dieses Ausflugs, den ich weder wollte noch initiiert hatte.“

 

Slahi war vor seinem Zwischenaufenthalt in Jordanien in seiner Heimat Mauretanien von der Straße weg verhaftet worden, ohne dass die Vorwürfe gegen ihn präzisiert wurden. Er sollte unter anderem angeblich an dem gescheiterten, so genannten Milleniums-Komplott beteiligt gewesen sein, bei dem um die Jahrtausendwende ein schwerer Sprengstoffangschlag auf den Flughafen von Los Angeles verübt werden sollte.

Im November 2001 beginnt die Odyssee, die den heute 44-jährigen Slahi im August 2002 über Zwischenstationen in Jordanien und Afghanistan nach Guantanamo führt – wo er laut seinem Tagebuch in den folgenden zwei Jahren systematisch misshandelt wird. Immer wieder werden ihm dieselben Fragen gestellt. Jedesmal beteuert er seine Unschuld, bis er nach jahrelanger Tortur zusammenbricht und seinen Vernehmern die falschen Geständnisse liefert, auf die sie im wahrsten Sinne des Wortes mit aller Gewalt jahrelang hingearbeitet hatten.

Menschenverachtung als Methode

Das so genannte Waterboarding ist zum Symbol der Misshandlungen in Guantanamo geworden. Slahi wurde dieser Wasserfolter offenbar nicht unterzogen. Aber das detailliert und nüchtern geschilderte Martyrium aus Hunger und Kälte, permanentem Schlafentzug, lauter Musik und ständigen Prügeln verdeutlicht, dass es in Guantanamo nicht um die eine oder andere Grenzüberschreitung ging, sondern dass Menschenverachtung zum Prinzip wurde.

Guantanamo wird in Slahis Buch zum Symptom einer blinden Angst, einer absoluten Rat- und Ziellosigkeit, welche die USA nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 erfasst hatte. Es galt, Schuldige zu finden, koste es, was es wolle. Slahi beschreibt die Absurdität des Unterfangens, ihn zum Schuldigen zu machen. „Mein Leugnen befeuerte alle möglichen haarsträubenden Theorien über meine Verbindung zum 11. September. Die Vernehmungsbeamten waren einfach mächtig am Schwimmen, sie suchten nach irgendeinem Strohhalm, an den sie sich festklammern konnten.“ Seine Quälgeister waren erst zufrieden, als er ihnen ohne Rücksicht auf die Wahrheit nach dem Munde redete.

Die Bilder aus Guantanamo sind zu Inbildern der Grausamkeit geworden: Gefesselte Männer in orangen Anzügen, die mit verbundenen Augen vor den Wachen knien. Es gibt andere Berichte, etwa des deutschen Häftlings Murat Kurnaz, und nicht zuletzt den jüngst vorgestellten Untersuchungsbericht des US-Senats. Doch Slahis Buch ist das erste große Originaldokument, das von einem Gefangenen in Guantanamo selbst verfasst wurde. Es beschreibt seine Gefangenschaft bis 2005 und konnte erst nach langem Rechtsstreit veröffentlicht werden. Slahi wird ohne Prozess weiter in seiner Zelle auf Kuba festgehalten, obwohl 2010 ein US-Bundesrichter seine Freilassung verfügte – gegen die allerdings die US-Regierung Berufung einlegte.

Slahis Buch ist trotz seiner Seitenhiebe auf die Heuchelei der USA kein politisches Dokument. Über seine Lebensgeschichte als Mujahid in Afghanistan, über seine, nach eigenen Angaben nur losen, Kontakte zu Al-Qaida-Mitgliedern, die ihn ins Visier der Amerikaner brachten, erfährt man nichts. Auch über mögliche objektive Verdachtsgründe bleibt man im Unklaren. Sagt Slahi die Wahrheit? Sein Text blickt in Abgründe des Menschen – und strahlt zugleich Humanität aus, besonders wenn der Autor seinen Humor aufblitzen lässt.

Die USA hatten willige Helfer

Eine dieser Szenen ist etwa der Moment als einem christlich-fundamentalistischen Wärter klar wird, dass er zwar Slahi im Jenseits in der Hölle schmoren sieht – doch dass das aus Sicht des Gefangenen umgekehrt genauso der Fall ist: „Er war erleichtert, weil ich ihn ebenfalls in die Hölle schickte: Tja, – dann kommen wir also beide in die Hölle und treffen uns dort!“ Für Absurditäten sorgen die US-Zensoren mit ihren penetranten Schwärzungen im Buch auch selbst. Sie sind oft so schlecht gemacht, dass sie zum Beispiel nicht verhüllen, dass Slahi auch von Frauen verhört und sexuell gedemütigt wurde. Das Porträt, das der Häftling von seinen Peinigern zeichnet, weist über den historischen Kontext hinaus: Folterer erniedrigen nicht nur ihre Opfer – sie entwürdigen auch sich selbst. Die Amerikaner hatten willige Helfer, ob es nun Jordanier waren, auf welche die USA vor Guantanamo als outgesourcte „Folter-Fachkräfte“ zurückgriffen oder ob es Ägypter sind, die auf Kuba Gefangene auf ihre Weise „bearbeiten“ durften. Slahi schreibt sogar von einem Verhör durch Beamte des Bundesnachrichtendienstes auf Guantanamo 2002, die bei ihren Drohungen nicht zimperlich waren. „Wenn Sie wollen, dann können wir die Wachen auffordern, Sie an die Mauer zu hängen und in den Arsch zu treten!“, sagte laut Slahi einer von ihnen. Wenn es um die aktuelle Islamistenangst geht, darf man sich in Deutschland durchaus daran erinnern.

Mohamedou Ould Slahi: Das Guantanamo Tagebuch.
Herausgegeben von Larry Siems. Aus dem Amerikanischen von Susanne Held. Tropen-Verlag/Klett-Cotta, Stuttgart. 459 Seiten, 19,95 Euro.

Chronik einer Gefangenschaft

Februar 2000
– Nach zwölf Jahren unter anderem in Deutschland kehrt Slahi nach Mauretanien zurück.

September 2001 –
Er wird nach den Anschlägen des 11. September von FBI-Agenten wegen Terrorverdachts verhört.

November 2001 –
Die CIA fliegt ihn nach Jordanien aus.

Juli 2002 –
Die Amerikaner bringen ihn nach Afghanistan.

August 2002
– Flug nach Kuba.

2003 bis 2004 –
Slahi wird in Guantanamo einem „Spezial-Befragungsplan“ unterzogen, der vom US-Verteidigungsminister Rumsfeld persönlich genehmigt wurde.

Sommer 2005 –
Slahi verfasst sein Tagebuch.

März 2010 –
Ein US-Richter ordnet Slahis Entassung an.

September 2010
– Ein Berufungsgericht verlangt eine neue Prüfung des Falls. Er ist immer noch anhängig