Die dreimonatige Testphase hat im Café 72, einer Tagesstätte der Ambulanten Hilfe für Menschen mit und ohne Wohnung, Spuren hinterlassen.

Bad Cannstatt - Diana Neugebauer ist sich sicher, der dreimonatige Probebetrieb im Café 72 war ein Erfolg. Die Sozialpädagogin, die seit vielen Jahren in der Tagesstätte der Ambulanten Hilfe für Menschen mit und ohne Wohnung arbeitet, zieht eine positive Bilanz. Auch viereinhalb Monate nach dem Ende der Testphase seien die Verbesserungen spürbar. Vom 16. Mai bis zum 15. August war das Café 72 nicht wie sonst nur vormittags geöffnet, sondern zusätzlich montags bis 18 Uhr und donnerstags bis 20 Uhr. Gleichzeitig wurde das Personal verstärkt.

 

Man wollte herausfinden, ob die längeren Öffnungszeiten die Situation vor dem Bahnhof entschärfen. Vor allem Einzelhändler hatten sich immer wieder über die dortige Trinkerszene beklagt. „Es war schon weniger am Bahnhof los“, sagt Neugebauer. Aber natürlich sei es auch weiterhin vorgekommen, dass die Leute nach dem Besuch im Café 72 zum Bahnhof gegangen seien. „Der große Andrang, den wir am Vormittag haben, hielt nicht bis in den Nachmittag“, sagt sie. Der größte Erfolg der Aktion ist für sie deshalb auch ein anderer. „Wir sind näher an die Anwohner herangerückt“, sagt sie.

Das Alkoholverbot im Café 72 wurde teilweise aufgehoben

Bereits vor Beginn der Testphase habe es häufig Beschwerden von den Nachbarn gegeben. Besucher der Tagesstätte machten es sich alkoholisiert in den Hauseingängen bequem oder nutzten die Briefkästen zum abstellen ihrer Schnapsfläschchen. Als sich der Runde Tisch zum Bahnhofsvorplatz darauf verständigte, die Öffnungszeiten im Café 72 zu verlängern, klingelten bei den Anwohnern die Alarmglocken. „Sie fürchteten, dass sich die Situation vom Bahnhof hierher verlagert“, sagt Neugebauer. Die Tagesstätte reagierte und veranstaltete Anwohnertreffen. Die Besucher wurden stärker in die Reinigung des Straßenraums einbezogen. Außerdem wurde das Alkoholverbot im Café 72 teilweise aufgehoben.

Während Alkohol bislang komplett tabu war, durften alkoholische Getränke von nun an zumindest im Vorraum konsumiert werden. Ziel sei es gewesen, die Leute von der Straße zuholen, erklärt die Sozialpädagogin. Außerdem könne das Fachpersonal so besser mit den Menschen in Kontakt kommen. Ein Vorhaben, dass jedoch nur bedingt funktionierte. Die Besucher konsumierten ihren Alkohol zwar in der Tagesstätte, unter den stark angetrunkenen Menschen kam es aber häufig zu Reibereien. Die Mitarbeiter hätten nicht gewusst, ob sie die Regelung dauerhaft aufrechterhalten können, berichtet Neugebauer. Sie sprachen das Thema bei einer Vollversammlung an. Hierbei handelt es sich um einmal im Monat stattfindende Treffen von Mitarbeitern und Besuchern. Seitens der Besucher sei schließlich die entscheidende Idee gekommen. Sie verständigten sich darauf, dass in Zukunft nur noch Bier und Wein aus Gläsern im Vorraum des Café 72 getrunken werden darf. Hochprozentige Alkoholika sind verboten.

Verlängerte Öffnungszeiten und mehr Personal

Die Sozialpädagogin ist begeistert, wie gut diese Regel funktioniert. „Die passen gegenseitig auf sich auf“, sagt sie, und ergänzt: „Die wissen das zu schätzen.“ Genau hier liegt für die Sozialpädagogin der Schlüssel zum Erfolg. Man müsse den Besuchern zeigen, dass man ihnen vertraue. Die tägliche Arbeit in der Einrichtung zeige, dass dieses Vertrauen nicht enttäuscht werde. Vom Brötchen holen über das Einkaufen bis zum Kochen des Mittagessens – alle Aufgaben werden im Café 72 von den Besuchern übernommen. Und zwar sehr gewissenhaft, wie Neugebauer betont. In den mehr als zehn Jahren, in denen sie in der Einrichtung arbeite, sei es zwei oder drei Mal vorgekommen, dass ein Besucher mit dem Einkaufsgeld verschwunden sei.

Doch auch wenn die Testphase aus Sicht der Sozialpädagogin erfolgreich war, ist sie skeptisch, ob das Problem vor dem Bahnhof allein durch verlängerte Öffnungszeiten im Café gelöst werden kann. Selbst wenn es gelinge, die Menschen stärker an die Tagesstätte zu binden, würde diese Lücke vermutlich schnell durch eine andere Gruppe – möglicherweise aus einem anderen Bezirk – gefüllt, gibt Neugebauer zu bedenken. Vorerst sind mit dem Ende der Projektphase verlängerte Öffnungszeiten und mehr Personal aber ohnehin wieder abgeschafft. Zwei Dinge konnte sich das Café 72 allerdings bewahren. Der maßvolle Alkoholkonsum funktioniere nach wie vor und „wir sind näher an die Anwohner herangerückt“, sagt Neugebauer.