In der kanadischen Hauptstadt Ottawa beraten Forscher über die Lage der Bären der Welt. Deren Lebensraum wird immer kleiner.

Ottawa - Der Algonquin Park ist Schwarzbärenland. Mehr als 2000 Bären streunen durch den 7500 Quadratkilometer großen, westlich der Hauptstadt Ottawa gelegenen Naturpark, der von Seen und Flüssen durchzogen und nur in seinen Randbereichen durch Straßen und Waldwege erschlossen ist. Wer tief in den Park eindringen will, macht das mit dem Flugzeug oder dem Kanu.

 

Derek Potter, ein 42-jähriger Biologe des Ministeriums für Naturressourcen der Provinz Ontario, verbringt im Sommer viele Wochen in einer Forschungsstation am Opeongo-See im Algonquin Park. Mit einem geländegängigen Truck fährt er mit einem Kollegen und einer Studentin über die holprigen Waldwege. Ein Elchbulle bricht aus dem Gebüsch und kreuzt den Weg. Aber für den Elch interessieren sich die drei nicht. Derek Potter will die 14 Bärenfallen kontrollieren, die im Wald nahe des Sees aufgestellt wurden. Er hofft, einen der Bären zu fangen, denen er in den vergangenen Jahren ein mit einem GPS-Empfänger ausgestattetes Halsband angelegt hat, um die Wanderwege der Bären zu studieren. Oder einen neuen Bären zu fangen, ihn zu vermessen und ein Halsband anzulegen. Die vergangenen Tage waren nicht erfolgreich. Kein Bär lief in die drei Meter langen röhrenförmigen Fallen. "Bären sind schlau. Manchmal holen sie alle Köder aus den Fallen. Aber der Köder, der die Falle schließt, wird nicht angerührt", erzählt Derek Potter, während er im Schritttempo den Truck um Schlaglöcher und Steine manövriert.

Sechs Großbären sind gefährdet

An einem Busch flattern blaue und orangefarbene Bändchen - Kennzeichen, dass hier eine Falle aufgestellt wurde. Vorsichtig öffnet Potter die Wagentür und bahnt sich den Weg durch das Buschwerk. Er gibt seinen Mitarbeitern ein Zeichen. Die Fallentür ist geschlossen. Leise nähern sich die drei Wissenschaftler der Falle, die im Schatten großer Laubbäume steht. Durch Luftlöcher ist das Fell eines Bären zu sehen. Die Köder aus verrottendem Fleisch riechen unangenehm. Schwärme von Moskitos stürzen sich auf die Bärenforscher. Aber dann lässt schlagartig die Aufgeregtheit nach. Durch die Luftlöcher können sie das Tier anhand einer Marke am Ohr identifizieren. Es ist eine junge Bärin, die sie schon einmal vor einer Woche gefangen hatten. Sie wurde damals betäubt, vorsichtig aus der Falle gezogen, vermessen und mit einer Ohrmarke versehen.

Potter ist erfahren. Weit mehr als 100 Bären hat er schon gefangen und betäubt. Kein einziger ist bei der Behandlung gestorben. "Wir beobachten genau die Atmung. Sinkt die Frequenz zu stark ab, können wir ein Mittel zur Stabilisierung der Atmung spritzen", erklärt er. Aber jetzt muss die Bärin dies nicht wieder über sich ergehen lassen. "Wir betäuben ein Tier nicht zweimal in so kurzer Zeit. Für das Tier bedeutet dies Stress." Potter steht auf der Falle und zieht die Metalltür nach oben. Wie ein Blitz schießt die Bärin hervor und verschwindet im Wald.

Kenntnisse über Wanderung und Verhalten der Bären sind für die Forscher Grundlage, um die Wildbestände zu schützen. "Wir können besser Entscheidungen in der Forstwirtschaft treffen, wenn wir wissen, welche Wälder die Bären bevorzugen, oder sicherstellen, dass die Jagd außerhalb des Parks den Bestand nicht gefährdet", erläutert Martyn Obbard, Professor an der Trent-Universiät in Peterborough. Fast ganz Kanada ist Schwarzbärenland, auch die Hauptstadt Ottawa, in deren Vororte im Sommer manchmal Bären auf der Suche nach Futter auftauchen. Während es um die fast eine Million Schwarzbären Nordamerikas gut bestellt ist und auch der Braunbär kaum gefährdet ist, sieht es für die anderen sechs Arten der Großbären düsterer aus. In Ottawa beraten daher diese Woche mehr als 300 Wissenschaftler, Naturschützer und Praktiker aus Naturparks über die Situation der Bären.

Schlüsselindikator für das Ökosystem

Für Wissenschaftler ist der Bär ein Schlüsselindikator für das Ökosystem, in dem er lebt: Der Schutz der Bären und ihres Lebensraums sichert auch den Raum für viele andere Tierarten. Geht es dem Bär gut, können auch andere Gattungen gedeihen. Aber die meisten Bären sind durch den Verlust ihres Lebensraumes bedroht. "Wir sehen die Zerstörung von Wäldern, um Getreide anzubauen, etwa in Südostasien, oder um Vieh zu halten, wie in Südamerika", sagt David Garshelis, Professor an der Universität von Minnesota, einer der Konferenzleiter.

Die Menschen dringen mit ihren Siedlungen in Reviere der Bären vor und holzen die Wälder ab. Große Lebensräume für Bären werden fragmentiert. "In Bärengebieten werden dann Rinder gehalten. Bären sehen darin Futter, erlegen Vieh und werden deshalb getötet", sagt Garshelis. Mehr noch: Straßen und Bahnlinien werden durch Bärenland gebaut - mit der Folge tödlicher Kollisionen. Bären sind außerdem Opfer von Wilderei und illegalen oder legalen Handels mit Bärenprodukten, die für traditionelle Medizin oder als Potenzmittel verwendet werden, wie etwa Organe und Fett des Lippenbärs oder die Galle des Asiatischen Schwarzbären. "Die größte Bedrohung für Bären in China und Südostasien ist der kommerzielle Handel mit lebenden Bären und Bärenteilen, vor allem mit Gallenblasen", stellt die Weltnaturschutzorganisation IUCN fest.

Das Gewicht verdreifachen, um zu überleben

Auch der Klimawandel bedroht die Bären. Meist wird dies auf den Eisbären bezogen, dem das Eis wegschmilzt. Aber andere Bärenarten sind ebenfalls betroffen. Der Temperaturanstieg kann die Wälder verändern. Schädlinge, die die Wälder zerstören, werden nicht mehr getötet, weil es im Winter nicht kalt genug ist. In trockenen Jahren sind Beeren rar, und den Bären fehlt ein wichtiges Nahrungsmittel. "Waldbrände können kurzfristig den Bären zugute kommen, weil in verbrannten Gebieten viele Früchte wachsen. Aber anhaltende Trockenheit verringert das Nahrungsangebot und wirkt sich auf die Reproduktionsrate aus", sagt Obbard.

Von der Konferenz in Ottawa, die von der Wissenschaftlerorganisation IBA (die Abkürzung steht für: International Association for Bear Research and Management) veranstaltet wird, erhoffen sich die Forscher einen neuen Anstoß zu verstärktem Schutz der Bären. "Wir werden sicher gute Ideen bekommen, wie wir diese Tiere schützen können", sagt Garshelis.

Im Algonquin Park ist jetzt die Zeit gekommen, in der die Bären das Fettpolster für den nächsten Winter bilden. "Mit Himbeeren, Erdbeeren und Blaubeeren ist im Sommer der Tisch reich gedeckt, vielleicht lockt sie deshalb der Köder in der Falle nicht", sagt Potter. Wie gewaltig die Gewichtszunahme im Sommer und Herbst sein kann, hat er durch seine Arbeit belegen können. "Im Frühsommer 2006 fingen wir eine Bärin, die wog nur 74 Pfund. Als wir sie im Winter in ihrer Höhle aufsuchten, wog sie 225 Pfund und hatte vier Junge", erzählt er und fügt hinzu: "Wenn ich in einem halben Jahr mein Gewicht verdreifachen würde, wäre ich tot." Für Bären ist es ein Garant, den harten Winter zu überleben.