Die Republica entwickelt sich mit Stars wie David Hasselhoff zum Festival. Aber es wird weiter debattiert, denn so wie bisher könne es mit dem Internet nicht weitergehen, heißt es auf der größten europäischen Konferenz zur digitalen Gesellschaft. Nur was muss sich ändern?

Leben: Ricarda Stiller (rst)

Berlin - Die achte Republica ist die erste Republica nach den NSA-Enthüllungen von Edward Snowden. Seit Dienstag treffen sich mehr als 6000 Teilnehmer in Berlin zu Europas größter Konferenz für digitale Technik und digitale Kultur. Es wird diskutiert über Ausspähung, Sicherheitslecks im Internet und alles, was in irgendeiner Form mit dem Netz zu tun hat. Immer im Blick: die Auswirkungen auf die Gesellschaft.

 

In wesentlich mehr Vorträgen als in den Jahren zuvor wird über die Themen Sicherheit und Überwachung gesprochen. Die heimlichen Helden der Konferenz heißen Julian Assange von Wikileaks, Edward Snowden und all die weniger bekannten Blogger, die teils inhaftiert, teils ihr Leben aufs Spiel setzend aus Ländern wie Syrien, China oder Ägypten via Internet politische Missstände aufdecken. Schon in der Ankündigung der Konferenz, die sich mit Auftritten von Stars wie dem Schauspieler David Hasselhoff oder Bianca Jagger, Ex-Topmodel und Ex-Frau des Rolling Stones-Frontmannes Mick, in Richtung Festival entwickelt, hieß es: „Wenn Algorithmen uns zu gläsernen, kontrollierbaren, weil berechenbaren Menschen machen, müssen wir vielleicht unberechenbarer werden?“

Das Motto der Republica, die am Donnerstag zu Ende geht, lautet „Into the Wild“ und meint, dass wir alle unser tägliches Handeln im Internet überdenken sollten. Denn die Alternativen zu Google und Co werden zahlreicher und anwendungsfreundlicher. Wenn wir also die Trampelpfade verließen, würde es deutlich schwerer sein, all den Spuren zu folgen und unsere Surfgewohnheiten für kommerzielle Zwecke auszuwerten.

Aufrufe zur Revolution wurden auf der Republica mehrfach laut. Wenn sogar David Hasselhoff sagt: „Vielleicht können wir die Gesetze ändern“, und damit die digitale Freiheit meint, dann könnte es sein, dass die Botschaft und Forderung nach einem freien, unkontrollierten Internet von Berlin aus in die Welt getragen wird.

Zwei Strategien gegen die digitale Überwachung

Um das Ziel zu erreichen, werden unterschiedliche Strategien diskutiert. Wenn viele Menschen die Anonymisierungssoftware TOR verwenden würden, wäre es für die Geheimdienste zu teuer, den gesamten Datenverkehr zu verfolgen. Die Gegenseite argumentiert hingegen so: ein unkontrolliertes Netz und freie Kommunikation sind Menschenrecht. Jedem steht die Freiheit zu, nicht überwacht zu werden, das müsste der Normalfall sein. Der Blogger und Journalist Friedemann Karig etwa sagt: „Ich habe einfach keine Lust, meine Kommunikation zu verschlüsseln. Denn ich habe wirklich nichts zu verbergen und meine Kommunikation ist per Grundgesetz geschützt.“ Die Realität sieht anders aus (siehe Kommentar auf der 2. Seite).

Wenn wir im Alltag online sind, hinterlassen wir derart viele Spuren, dass es kaum möglich ist, sich komplett vor Datenauswertung und Missbrauch zu schützen. So wäre es nach Ansicht des Sicherheitsexperten und F-Secure-Chefs Mikko Hyppönen an der Zeit, dass Europa eigene Amazons, Googles oder Facebooks entwickle. Er sagt: „Wo sind die europäischen Anbieter? Wir können nicht anklagen, dass die Amerikaner so erfolgreich sind.“ Dass es fast alles, was Amazon bietet, auch in deutschen und anderen europäischen Online-Shops zu kaufen gibt, erwähnt er nicht – ebenso wenig die in Frankreich entwickelte Suchmaschine Qwant und die schweizerische WhatsApp-Konkurrenz Threema. Mit einem Manifest, das unter der Internetadresse http://f-secure.com/digitalfreedom mitgestaltet werden kann, wollen Hasselhoff und F-Secure für Redefreiheit und Privatsphäre und gegen Massenüberwachung in der Politik etwas erreichen.

Deutlich radikaler, dafür aber umso humorvoller möchten die beiden Netzkunst-Aktivisten Jacques Servin und Igor Vamos, die derzeit unter den Pseudonymen Andy Bichlbaum und Mike Bonanno als „The Yes Men“ agieren, mit ihren sozialen Experimenten die Welt verändern. Der simpelste Rat der beiden lautet: man müsse eine Geschichte nur immer und immer wieder erzählen, bis sie weitererzählt und um die Welt getragen würde.

Die Yes Men rufen zu zivilem Ungehorsam auf

Bekannt geworden ist das Künstler-Duo mit Aktionen wie der Fälschung einer UN-Website, dem Verteilen einer gefälschten Sonderausgabe der „New York Times“, in der sie das Ende des Irak-Kriegs verkündeten sowie Meldungen für eine bessere Welt verbreiteten, und Auftritten auf Konferenzen, zu denen sie sich meist selbst einladen. Mit ihren Aktionen bewegen sie sich oft am Rande der Legalität. Weil sie aber „wirklich nicht ins Gefängnis wollen“ und dort ja auch nicht weiterarbeiten könnten, holen sie sich gerne vorher juristischen Rat.

Die Yes Men sind seit ihrer Eröffnungsrede auf der Republica wieder ein bisschen bekannter geworden. Dass sie deswegen künftig auf einer Konferenz auffliegen könnten, befürchten sie nicht. Jaques Servin greift auch zu Mitteln der Verkleidung. Mit der Perücke, die er kürzlich für seinen Auftritt beim US-Heimatschutzministerium gewählt hat, hat ihn selbst sein Kollege Igor Vamos nicht erkannt. Immer wieder verschaffen sie sich Zutritt zu Konferenzen, indem sie sich zum Beispiel als Mitglieder der US-Handelskammer ausgegeben und sich mit der Ölindustrie anlegen.

In anderen Vorträgen wurde zwar nicht zu zivilem Ungehorsam aufgerufen, aber auch an das Publikum appelliert, dass sie es sind die aktiver werden müssten, wenn das Internet noch gerettet werden soll.

„Was wäre das Internet ohne Katzen und was wäre die Republica ohne Sascha Lobo?“, so kündigt die Moderatorin den Stammgast mit dem roten Irokesenschnitt an. In diesem Jahr dürften es mehr als 3000 Zuhörer gewesen sein, die seine Bonmots wie „die Reise von Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich in die USA war die erfolgloseste Reise seit Odysseus“ hörten. Er hat allerdings auf den Punkt gebracht, was wohl die meisten Besucher auf der Konferenz denken: „Das Internet ist kaputt. Die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht.“

Kommentar: Verantwortung übernehmen

Wer die Internetkonferenz Republica in Berlin besucht, kennt sich aus. Der weiß um all die Sicherheitslücken in Browsern und Betriebssystemen. Der weiß zumindest auch in der Theorie, wie er sich sicher durchs Netz bewegen kann. Ob er es tut und ob er es will, ist eine ganz andere Frage. Wer möglichst billig in dubiosen Online-Shops einkauft, muss sich nicht wundern, dass seine E-Mail-Adresse plötzlich auf der Liste der gekaperten Adressen auftaucht.

Wir, die Nutzer, sollten uns mehr Gedanken darüber machen, welche Suchmaschine wir nutzen, über welchen Anbieter wir E-Mails schreiben, ob wir Daten in der Cloud speichern wollen und wenn ja, bei wem. Auf der diesjährigen Republica hat die Diskussion darüber, ob man das Internet noch umgestalten kann, noch einmal so richtig an Fahrt aufgenommen. Die meisten Konferenzteilnehmer meinen: ja, es sei noch nicht zu spät. Ohne die Politik aber geht das kaum. Es ist zwar schade, dass nur sehr wenige Politiker unter den Teilnehmern waren, doch kann jeder, dem ein freies Internet am Herzen liegt, sich überlegen, wie er die Politiker erreicht und mit ins Boot holt.

Es gibt keine Grenzen im weltweiten Netz. Genau das war ja auch einmal die Idee des Ganzen. Dennoch können wir darauf achten, auf welchen Servern wir unsere Daten lagern und wie wir online kommunizieren. Wir müssen selbst Verantwortung für den sicheren Umgang mit unseren Daten übernehmen.