Takis Würger soll in seinem umstrittenen Roman „Stella“ Persönlichkeitsrechte verletzt haben. Juristische Schritte werden geprüft. Darf man über eine historische Figur schreiben, wie man will?

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Bisher hat der Roman „Stella“ des „Spiegel“-Reporters Takis Würger vor allem wegen seiner ästhetischen Unzulänglichkeiten Aufsehen erregt. Teile der Kritik sehen in dem schmalen und anfechtbaren Büchlein gar einen Präzedenzfall des verantwortungslosen Nazi-Storytellings: Claas Relotius auf historisch. Nun aber könnte Würgers Roman womöglich auf juristischem Feld zu jenem Ereignis werden, das er auf literarischem Feld mit Sicherheit nicht ist.

 

In „Stella“ verwandelt sich der Autor auf freie, ja leichtsinnige Weise die Geschichte der historischen Figur Stella Goldschlag an. Während des Nationalsozialismus hat sie, um das Leben ihrer jüdischen Familie zu retten, mit der Gestapo zusammengearbeitet und als sogenannte „Greiferin“ viele andere Juden an die Schergen des Regimes verraten.

Wie die „Zeit“ in ihrer aktuellen Ausgabe berichtet, prüfen nun die Erben eines Vertrauten von Stella Goldschlag, dem sie vor ihrem Selbstmord 1994 ihre publizistischen Persönlichkeitsrechte abgetreten hat, rechtliche Schritte gegen das Buch. Goldschlags Geschichte werde darin einseitig und verkürzt dargestellt, die grausame Folter, der sie ausgeliefert gewesen sei und die sie gebrochen habe, komme als Ursache ihrer Handlungen nur unzureichend zur Geltung. Der Autor des „Zeit“-Beitrags, Micha Brumlik, Erziehungswissenschaftler und früherer Leiter des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts, schreibt von der „entwürdigenden Ausbeutung und Verhöhnung eines NS-Opfers“.

Erpresste Geständnisse von Denunzianten

Der Anwalt der Erben stößt sich namentlich daran, dass in dem Roman literarische Erfindung mit Tatsachenbehauptungen verquickt würden. Würger streut in seine Erzählung Protokolle eines sowjetischen Militärtribunals ein. Dieses, so der Anwalt, habe nach dem Krieg erpresste Geständnisse von Denunzianten gegen Stella Goldschlag verwendet. Deshalb habe er den Münchner Hanser Verlag, in dem das Buch erscheint, aufgefordert, keine weiteren Exemplare von „Stella“ zu vertreiben, welche die Zitate des Militärtribunals enthalten.

Unabhängig von den ärgerlichen Schwächen und Geschmacklosigkeiten des Romans stellt sich die Frage, ob eine verkürzte Darstellung von Personen der Zeitgeschichte justiziabel ist. Der Berliner Rechtsanwalt Peter Raue, Experte für Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht, beantwortet sie gegenüber unserer Zeitung mit einem klaren Nein: „Personen der Zeitgeschichte können sich einer Romandarstellung nicht entziehen.“ Daran ändert der Umstand wohl nichts, dass Stella Goldschlag verfügt hat, allein ihr Vertrauter dürfe ihre Lebensgeschichte in Presse, Funk, Fernsehen, Verlagswesen, Theater und Film veröffentlichen. „Das Persönlichkeitsrecht endet mit dem Tod“, sagt Raue. „Einzig nahe Angehörige können darüber hinaus aufgrund ihres eigenen Persönlichkeitsrechts Ansprüche gegen die diffamierende Darstellung eines Verwandten haben – aber auf unbeteiligte Dritte kann man das nicht übertragen.“

So scheint alles darauf hinauszulaufen, dass dieser Roman seine merkwürdige Erfolgsgeschichte, getragen von empörten Debatten und medialem Furor, fortsetzen wird. Mittlerweile hat sie ihn auf Platz fünf der „Spiegel“-Bestsellerliste geführt.