Die mutmaßlichen Gräueltaten der russischen Armee in dem Kiewer Vorort Butscha haben der Debatte um die Energielieferungen aus Russland neuen Auftrieb gegeben. Und es gibt durchaus Stimmen, die sagen, ein Importstopp sei „verkraftbar“.

Das Thema der Energieabhängigkeit von Russland stand sowieso auf der Agenda der Talkrunde – doch die grausamen Bilder aus Butscha haben der Diskussion eine neue Dringlichkeit gegeben. Nachdem die russische Armee sich aus dem Vorort der ukrainischen Hauptstadt Kiew zurückgezogen hat, sind dort zahlreiche Menschen tot aufgefunden worden: Die Bilder von Leichen, die – teils mit gefesselten Händen – in den verwüsteten Straßen liegen – sind am Wochenende um die Welt gegangen.

 

„Wir müssen aufhören, die Kriegskasse von Putin zu füllen“, forderte deshalb die Grünen-Politikerin Marieluise Beck in der ARD-Talkrunde „Anne Will“ Sonntagnacht. Die ehemalige Sprecherin der Fraktion für Osteuropapolitik war gerade von einer mehrtägigen Kiew-Reise zurückgekehrt – und merklich bewegt. Sie sehe, dass der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck in der Debatte um die Energieversorgung großem Druck vonseiten der Industrie ausgesetzt sei. Doch angesichts der Gräueltaten von Butscha „müssen wir vielleicht neu denken, was wir aushalten können“, so die Grüne. Damit meinte sie auch ein Embargo russischer Energielieferungen.

Die Bundesregierung setzt auf Sanktionen und Waffenlieferungen

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil allerdings ist da skeptischer. Man drehe den Gashahn bereits jeden Tag etwas weiter zu, sagte Klingbeil. Aber: „Ich halte ein sofortiges Gas-Embargo für einen falschen Weg.“ Dabei gehe es nicht nur um Folgen für die Industrie, sondern auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Er verstehe die Emotionalität – doch unabhängig von den russischen Öl- und Gaslieferungen zu werden, „geht nicht so schnell“, sagte Klingbeil. Vielmehr setzte die Bundesregierung etwa auf Waffenlieferungen, auf Waffenkäufe und wirtschaftliche Sanktionen. Der SPD-Politiker warf zugleich die Frage auf, ob ein Gasembargo Putin überhaupt stoppen würde.

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Einen Verbündeten schien Klingbeil in der Diskussionsrunde mit dem virtuell zugeschalteten bayerischen Ministerpräsident zu haben – zumindest teilweise: Der warnte, dass ein sofortiges Embargo große Schäden für energieintensive Betriebe hätte. Und warf zugleich die Frage auf, ob Russland sich nicht sowieso alternative Abnehmer suchen würde für seine Energielieferungen. Um einen wirtschaftlichen Schock zu verhindern, brauche es stattdessen einen „vernünftigen“ Energieplan und einen „Ausstieg aus dem Ausstieg“, argumentierte Söder – und plädierte damit für eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke. Auch seien Hilfen für Wirtschaft und Verbraucher nötig, wenn Deutschland bis 2024 unabhängig von fossilen Energielieferungen aus Russland werden wolle.

Nicht hart zu reagieren könnte eine Einladung sein für weitere Aggressionen

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm dagegen hält ein sofortiges Embargo für Deutschland durchaus für „verkraftbar“. Es gebe inzwischen einige Studien, die die Auswirkungen eines Stopps der russischen Öl- und Gaslieferungen untersucht hätten. „Natürlich würde das einen tiefen Wirtschaftseinbruch nach sich ziehen“, sagte die Professorin für Volkswirtschaftslehre. Es wäre ein Schritt, der die Wirtschaft treffe – Schätzungen gehen demnach von einem Minus von 2,5 Prozent bis sechs Prozent aus. Klar wäre dann: „Es bräuchte staatliche Hilfen etwa wie in Corona-Zeiten“, sagte Grimm.

Bei der Entscheidung um einen solchen Schritt gehe es auch um die Sicherheit in Europa – und um die Frage, was geschehe, wenn „wir jetzt nicht sehr, sehr klar reagieren auf Putin in diesem Krieg“. Nicht hart genug zu reagieren könne durchaus auch eine Aufforderung, eine Einladung sein, mit den Aggressionen weiterzumachen – was wiederum nicht nur die Sicherheit in Europa gefährden, sondern dauerhaft auch die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigen würde.

Laut der Ökonomin finanzieren Milliarden für Energie den Krieg indirekt mit

Seit Kriegsbeginn seien durch die Energielieferungen 20 Milliarden Euro an Russland geflossen, sagte Veronika Grimm. Das finanziere etwa Importe von Maschinen oder Lebensmitteln – und würde indirekt oder direkt durchaus dazu beitragen, dass der Krieg weiter geführt werden könne. Würden die Zahlungen wegfallen, würde in Russland deutlich mehr passieren „als mit den aktuellen Sanktionen“, sagte die Wirtschaftsweise. Sie verwies darauf, dass auch „Zwischenschritte“ möglich seien – etwa mit einem Öl-Embargo, was aus ihrer Sicht einfacher umsetzbar sei.

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Ein entschiedeneres Handeln forderte die Grünen-Politikerin Marieluise Beck nicht nur im Hinblick auf Energielieferungen, sondern auch in puncto Waffenlieferungen für die Ukraine. Der „Himmel über der Ukraine“ müsse geschlossen werden, es brauche „moderne Luftabwehrsysteme“ für die das Land. Dort sei man „enttäuscht“ über das Verhalten der Deutschen, sagte Beck. Auch Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der Zeitung „Welt“, befand, dass Deutschland „hintendran“ sei, was Waffenlieferungen angehe. Die Verbündeten täten hier mehr, sagte der Journalist und erhielt dafür Zustimmung vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Dieser konnte sich in diesem Punkt einige Spitzen gegen die regierende Ampel-Koalition nicht verkneifen: Er habe den Eindruck, dass die Verteidigungsministerin „überfordert“ wirke.

Kritik am Vorgehen bei wirtschaftlichen Sanktionen

Kritik gab es auch am Design der wirtschaftlichen Sanktionen der Bundesregierung. „Wir haben ganz umfassende Sanktionen, nur haben wir den Bereich herausgehalten, der genau in den Machtapparat geht“, sagte Robin Alexander. Dies sei genau falsch herum konstruiert – auch beim Zeitpunkt. Üblicherweise würde man alle Sanktionen auf einmal verhängen, um eine starke Wirkung zu erzielen – hier täte die Bundesregierung teils sogar das „Gegenteil von dem, was objektiv geboten wäre“.

SPD-Chef Lars Klingbeil dagegen befand, die Bundesregierung tue bereits alles Mögliche. Die eng etwa mit den USA abgestimmten Sanktionen würden durchaus Wirkung zeigen, man liefere viele Waffen, auch Flugabwehr. „Deutschland gehört mittlerweile mit zu den Ländern, die am stärksten Waffen in die Ukraine liefern.“ Klingbeil sieht durchaus eine „Zeitenwende“, etwa weil man ein Sondervermögen für die Bundeswehr beschlossen habe, weil man über die Energieunabhängigkeit spreche. „Die Zeitenwende ist da und sie wird unser Land nachhaltig verändern.“