Sie ist schon fast so berühmt wie das ZDF-Mainzelmännchen: Maybrit Illner feiert am Donnerstag die 500. Folge ihres Polittalks.

Stuttgart - Ein Stuhl blieb leer, weil ein Gast zu spät kam. Strom fiel aus. Der Blick durchs Studiofenster zeigte finstere Nacht, statt einer Metropole, die niemals schläft. Das war der erste Eindruck, den Maybrit Illner am 14. Oktober 1999 bei ihrem Start als Polittalkerin hinterließ. „Es ging alles schief“, sagt die Moderatorin und lacht. An die Pannen bei der Premiere hätte sich vermutlich keiner erinnert, wenn sie das ZDF im Talk bei Markus Lanz nicht selbst wieder aus dem Archiv hervorgekramt hätte. Am Donnerstag zeigt das ZDF die 500. Folge von „Maybrit Illner“.

 

Der Polittalk ist längst zu einer Institution der Berliner Republik geworden. Seit Jahren erreicht er regelmäßig mehr als zwei Millionen Zuschauer, daran hat auch die Talkoffensive in der ARD nichts geändert. Illner bleibt die Nummer zwei nach Günther Jauch, der späte Donnerstagabend ist fest in ihrer Hand. Ob Eurokrise, Altersarmut oder Ehec-Angst: hartnäckig arbeitet sich die Journalistin an den Schlagzeilen ab. Auf der Habenseite kann steht die Liste mit den Namen von Prominenten, die die Sendung als Bühne genutzt haben, von Angela Merkel bis Michail Gorbatschow.

Marktwert der Mainzelmännchen

Maybrit Illner besitzt noch nicht ganz den Marktwert der Mainzelmännchen, aber sie arbeitet daran. Bedenkt man, dass der durchschnittlich gebildete Tageszeitungsleser nach vielen Talkrunden noch ratloser ist als zuvor, dann ist dieser Erfolg erstaunlich. Doch wer fragt in diesem Genre noch nach Erkenntnisgewinn? Nach 499 Sendungen dürften die Zuschauer die Hoffnung aufgegeben haben, dass Illner einen Beitrag zur politischen Bildung leistet. Sie ist die Dompteurin in einem parlamentarischen TV-Zirkus, nicht mehr und nicht weniger. „Politik ist grundsätzlich Inszenierung“, sagt die 46-Jährige, wenn man sie fragt, ob die rhetorischen Schaugefechte nicht an der Realität der Zuschauer vorbeigehen. Sie strapaziert dann eine Floskel, die auch ihre ARD-Kollegen gern in solchen Fälle bemühen. „Da trifft Politik aufs Volk. Das geschieht sonst nur in Wahlkämpfen – viel zu selten.“

Dass es sich bei dem Dialog in Wirklichkeit um zwei, drei Sätze handelt, die ein Hartz-IV-Empfänger loswerden darf – geschenkt. Das Problem ist systemimmanent. Talkshows sind nicht geeignet, den gesellschaftlichen Diskurs zu fördern. Im Gegenteil: sie führen zu Politikverdrossenheit. So steht es in einer Studie, die die Otto-Brenner-Stiftung im August zum Auftakt der Talkoffensive in der ARD veröffentlicht hatte. Man könnte sagen: das liegt in der Natur des Formats. Illners Fragen suggerieren in ihrer zugespitzten Form zwar, das Fernsehen könne sie in Boulevardmanier in einem Aufmacher verhackstücken. „Burn-out – muss bald ganz Deutschland auf die Couch?“ Oder: „Griechen pleite, Banken in Not – wer rettet den Steuerzahler?“

Polittalk als Etikettenschwindel

Doch solche Themen sind zu komplex, um sie mit Politikern und Lobbyisten zu diskutieren, denen es mehr um die eigene Publicity als um Aufklärung geht. Dafür reichen sechzig Minuten nicht aus. So gesehen ist der Polittalk ein Etikettenschwindel und Maybrit Illner seine souveränste Vollstreckerin. Dass ihm die Zuschauer im ZDF seit zwölf Jahren bereitwillig auf den Leim gehen, verdankt der Sender tatsächlich ihr, einer wendigen Sympathieträgerin, die ihre Karriere als Sportjournalistin im DDR-Fernsehen begann. In ihrer Sendung geben sich die immergleichen Passagiere des Raumschiffs Reichstag die Klinke in die Hand, doch man schaut sich die Sendung nicht an, um von ihnen Antworten auf die drängenden Probleme der Zeit zu bekommen. Es geht mehr um die Unterhaltung, um Bilder von Politikern, wie man sie sonst selten erlebt. Rot vor Wut, die Lippen zerbissen, ein Fragezeichen im Gesicht.

Der Rahmen des Formats ist denkbar eng, doch es zeichnet Illner aus, dass sie ihn als Journalistin ausfüllt. Die Frau hat keine Angst vor großen Tieren. Sie blieb cool, als sie einmal der Labrador von Wladimir Putin unterm Tisch anknurrte. Phrasendrescher bremst sie freundlich, aber bestimmt aus. In den besten Momenten gelingt es ihr, eine verschlossene Auster wie Wolfgang Schäuble zu öffnen. Jedenfalls stand dem Bundesfinanzminister 2009 der Mund für den Bruchteil der Sekunde der Mund halb- offen, als sie ihn arglistig fragte, ob holländische Journalisten die besseren Fragen stellen. Es war eine Anspielung auf einen Kollegen, der bei der Bundespressekonferenz Zweifel an Schäubles Integrität gesät hatte, als er ihn daran erinnerte, dass dieser während der CDU-Spendenaffäre vergessen hatte, „dass 100 000 Mark in seiner Schublade liegen“. Für die Zukunft würde man sich wünschen, dass ihr solche Fragen auch mal selber einfallen.

ZDF, 21.45 Uhr