Comedian Tan Caglar sitzt im Rollstuhl und macht Witze über Behinderte. Auch Nichtbehinderte dürfen das, sagt er beim Besuch in Stuttgart. Menschen mit Handicap seien noch mehr benachteiligt, wenn man sie aus Späßen rausnimmt.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Gut sieht er aus, maskulin, gepflegter Dreitagebart, die Augenbrauen gezupft, akkurater Haarschnitt, gesegnet mit dem durchdringenden Blick eines Charmeurs. Kürzlich, erzählt Tan Caglar , 38, sei er verwechselt worden. Ein junger Typ habe ihn besorgt gefragt: „Hey Bushido, was ist passiert, Alter?“

 

Wer im Rollstuhl sitzt, ist es gewohnt, komische Fragen zu hören. Was soll man immer antworten? Tan überlegt: „Hätte ich sagen sollen, mach dir keine Sorgen? Bin beim Rappen ausgerutscht?“

Innerhalb von vier Tagen hat Tan Caglar zweimal im Renitenztheater Show gemacht, einmal in der „Froggy Night“ mit harter Spaßkonkurrenz (Gregor Gysi war dabei), einmal mit seinem Solo-Programm in der Deutsch-Türkischen Kabarettwoche. Stuttgart ist für den Hildesheimer fast ein Heimspiel. Hier hat er im Kleinkunstwettbewerb Stuttgarter Besen den Publikumspreis gewonnen. Hier beginnt er seine Auftritte mit folgendem Satz: „Stuttgart ist die beste Stadt.“ Wer glaube, dies sage er in jeder Stadt, habe recht, versichert er: „Ich sage in jeder Stadt, dass Stuttgart die beste Stadt ist.“

Sein Soloprogramm trägt den Titel „Rollt bei mir“

Das also ist der Mann, der im Brandfall den Aufzug benutzen darf, der bei „Reise nach Jerusalem“ immer gewinnt und dem Stand-up-Comedy sitzend gelingt. So lässt er sich ankündigen. Von ihm kann man Sätze hören wie: „Ich bin nicht einer, der vor Problemen davonläuft.“ Als Türke und Rolli-Fahrer sei er „so eine Art Schweizer Taschenmesser der Minderheiten“. Na und? „Das Renitenztheater sagt sich“, hebt er an, „wenn wir den Tan buchen, haben wir den Quotenbehinderten und Quotenkanaken in einem abgedeckt.“ Wenn er jetzt auch noch transsexuell wär, „wär die Chose gar nicht mehr zu stoppen“.

Sehr cool ist sein Auftritt. Seine Selbstironie kommt an. „Rollt bei mir“, heißt sein Programm. Eine Frage, die sich nach seiner Show stellt, lautet: Darf man als Nichtbehinderter Witze über Behinderte machen? „Definitiv“, antwortet Caglar. Man müsse es aber gut machen, dies sei die Kunst, die nicht jeder beherrsche. Behinderte würden meist mit Samthandschuhen angefasst. „Wenn man uns dann auch noch bei Witzen herausnimmt, wär das noch schlimmer“, findet er.

Das Wort Inklusion mag er nicht

An einer fortschreitenden Rückenmarkserkrankung leidet der frühere Basketballprofi, der auch als Model arbeitet. Seit über zehn Jahren ist er auf den Rollstuhl angewiesen. Unter Depressionen hat er gelitten, aber gelernt, das Positive zu sehen. „Wenn man plötzlich eine Etage tiefer sitzt, ändert sich auch die Perspektive für das Wesentliche“, sagt er, „man sieht nicht mehr von oben herab.“ Das Wort Inklusion gefällt ihn nicht. „Ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft“ sei es „ dass wir Synonyme für Menschlichkeit suchen müssen.“

Auf Tour wird er meist von einem Freund begleitet. Wie behindertenfreundlich die Theaterhäuser in Deutschland sind? „Ganz und gar nicht“, erklärt Tan Caglar, „als sie gebaut wurden, dachte wohl niemand daran, dass mal ein Rollstuhlfahrer auftritt.“ Doch nette Menschen, die helfen, fände er überall.

Da der Comedian Behindertenwitze auch von Nichtbehinderten hören will, hier schnell noch einer: Wie heißt bei Kannibalen ein Rolli-Fahrer? Essen auf Rädern. Blöder Witz. Tan, übernehmen Sie! Ist super, was Sie ins Rollen bringen!