Es ist ein Wagnis. Aber es kostet nichts. Ein Tango-Schnupperkurs im Rahmen von Sport im Park. Wer sich darauf einlässt, wird in eine neue Welt eintauchen.

Stuttgart - Tango. Ein Wort, ein Tanz, 1000 Klischees. Manche nennen den Tango Argentino die vertikale Art des Liebeslebens. Ein Papst aus dem vorigen Jahrhundert dichtete ihm gar Dämonisches an und ließ ihn verbieten. Vielleicht machen alle diese Geschichten seine Faszination aus. Das Mystische und Undurchdringbare. Tango lockt, Tango reizt, Tango verführt.

 

An einem der vergangenen Donnerstage ließ sich auch Gertraud Hermann (ver-)locken. Sie las auf einem Flugblatt: Stilvoll abtanzen. Erste Schritte beim Open-Air-Tango im Rahmen des städtischen Angebots Sport im Park. „Das hat mich angesprochen und neugierig gemacht“, sagt die Stuttgarterin. Was sie bei der Chiffre Tango fühlte, bestätigen viele: Irgendetwas an diesem Tanz und seiner Musik spricht Menschen in ihrer Seele an. So wie die ersten Tänzer zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert. Die Sehnsucht der europäischen Auswanderer war es, die den Tango in Buenos Aires zur Welt brachte. Seitdem erlebt der Tanz und die Musik immer wieder Höhen und Tiefen in der öffentlichen Wahrnehmung – aber seine Anziehungskraft hat er nie verloren.

Die Musik macht etwas mit einem

Auch an diesem Abend an der Staatsgalerie sind es noch acht weitere Stuttgarter neben Gertraud Hermann, die sich von Hollis Drewes die erste Weihe geben lassen. „Die Musik ist so toll, sie macht mit einem etwas“, schwärmt Gertraud Hermann, „irgendwie ganz anders als bei anderen Tänzen.“ Sie lernt schnell: Beim Tango ist alles anders. Das Konzept ist, dass es kein Konzept gibt. Kein Schritt-Schema, wie bei den Standard- oder Lateinamerikanischen Tänzen. Die Idee des Tango, so erklärt Tanzlehrer Drewes, sei sich allem hinzugeben. Der Musik, seinen Gefühlen. Am besten seiner Intuition. „Beim Tango geht es im Prinzip um Führen und Folgen“, sagt er.

Und nachdem Herr Hollis, wie ihn in der Stuttgarter Tango-Szene alle nennen, auch Gertraud Hermann in das Geheimnis des Führens-und-Folgens einweiht, ist es wie eine Initiation in etwas Größeres. Sie lässt einfach los, schmiegt sich in seine Arme, vertraut und folgt. „Eigentlich ist es ganz einfach“, sagt sie später, „man muss einfach nur spüren, was der Herr will.“

Die Euphorie des Anfangs unterschlägt, dass es bei den Tango-Novizen alles noch etwas unbeholfen und tapsig wirkt. Aber das ist der Preis. Nur wer die Mühen des ersten Mal durchhält, wird belohnt. Herr Hollis weiß das. Er zeigt daher unendliche Geduld und Enthusiasmus. Er belehrt nicht, er lehrt. „Es ist ganz wichtig, dass ihr Präsenz zeigt“, sagt er zu seiner Anfängergruppe in einer Pause. Dann, so versichert er, werde man eines Tages erleben, dass Tango die direkteste Form der Kommunikation zwischen zwei Menschen sei. „Ach ja“, schiebt Hollis hinterher: „Nicht vergessen: Der Impuls für die Führung kommt aus der Körpermitte, die Körperhaltung des Paares ist eher ein A als ein V.“

Tango ist mehr als ein Wort

Bis Gertraud Hermann und die anderen Neulingen, von dieser Information durchdrungen sein werden, sind mindestens noch tausend Schritte nötig. Sehr wahrscheinlich sogar viel, viel mehr. Aber keiner der Neulinge macht an diesem Abend den Eindruck, dass ihm diese Herausforderung zu groß ist. Jeder hat dank Herrn Hollis eine Ahnung davon bekommen, dass Tango mehr als ein Wort ist. Es ist ein getanzter Zauber, der auf Tänzer und Betrachter gleichermaßen unbeschreiblich wirkt. Wer das wieder für ein billiges Klischee hält, sollte sich donnerstags gegen 19.30 Uhr ver-führen lassen.