Erfasst die Erneuerung der CDU auch Tanja Gönner? Anhänger des Ex-Premiers haben es schwer. Die Abkehr vom System Mappus ist schon weit.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es ist ein Parteitag der etwas anderen Art. Einen Tag lang wollen sich Delegierte und Mitglieder am Samstag in einer Stuttgarter Schule alleine mit dem Thema Bildungspolitik beschäftigen. So möchte die Südwest-CDU zeigen, dass sie die Lektion der Abwahl - diskutieren statt durchregieren - verstanden hat.

 

Doch das bereits vor Monaten geplante Treffen passt nicht mehr recht in die Zeit. Die Aufregung über die Schulreformpläne von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat sich weitgehend gelegt. Umso aufgewühlter ist die Partei angesichts der Turbulenzen der vergangenen zehn Tage. Erst bescheinigte der Staatsgerichtshof der Regierung Mappus einen glatten Verfassungsbruch beim EnBW-Kauf, dann musste der beliebte Landtagspräsident Willi Stächele deshalb zurücktreten, schließlich demontierte die Landtagsfraktion im Ringen um die Nachfolge fast ihren Vorsitzenden Peter Hauk- es kam knüppeldick für die Christdemokraten.

Um den EnBW-Deal ging es mit keinem Wort

Eigentlich wollten sie die Vergangenheit schon beim Parteitag im Sommer in Ludwigsburg hinter sich lassen. Unwidersprochen durfte Stefan Mappus dort noch einmal darlegen, nur widrige Umstände und die bösen Medien hätten ihn um den Sieg gebracht. Um den EnBW-Deal ging es mit keinem Wort. Die Delegierten verabschiedeten den Kurzzeit-Premier stehend mit Applaus und wählten den bisherigen Generalsekretär Thomas Strobl zum Nachfolger. Jenen Strobl, der immer inbrünstig "unser" Ministerpräsident und "unser" Landesvorsitzender betont hatte, weil er wohl merkte, wie schlecht Mappus' Rambomanieren an der Basis ankamen.

Doch ein Neuanfang, das müssen die Christdemokraten gerade schmerzhaft lernen, gelingt nicht ohne Aufarbeitung des Geschehenen - inhaltlich und personell. Beim Thema EnBW sind sie dabei auf halbem Wege stehen geblieben. Nur mit Mühe konnte Fraktionschef Hauk, nach peinlichen Ausweichmanövern, den höchstrichterlich bestätigten Verfassungsbruch einräumen; Strobl sprach immerhin von "Demut" vor dem Urteil. Das Vorgehen war schlecht, das Aktiengeschäft selbst gut, lautet nun die Devise.

Zeitnot oder Handlungsdruck gab es nicht

Mappus' Gründe für den Überrumpelungscoup beten die Oberen von Partei und Fraktion weiterhin eins zu eins nach. Dabei haben die sich längst als Legenden entpuppt: Zeitnot oder Handlungsdruck gab es nicht, abgesehen von schlechten Umfragewerten. Nach der Wahl hätte man die baden-württembergische Mehrheit bei der EnBW, dank des Vorkaufsrechts der oberschwäbischen Landkreise, wohl deutlich billiger sichern können. Auch der berechtigte Einwand, Fukushima und die Energiewende habe niemand vorhersehen können, zieht nur vordergründig. Die Zukunft der Atomkraftwerke war bereits vorher fraglich, wegen der aussichtsreichen Verfassungsklage gegen längere Laufzeiten.

Personell ist die Abkehr vom System Mappus schon weiter. Je näher jemand mit dem ungeliebten Premier verbunden war oder schien, desto schlechter ist sein Ansehen in der Partei. Das war bei den Wahlen in den CDU-Bezirken Nordwürttemberg und Südbaden zu beobachten: dort gaben die Delegierten unbelasteten jungen Bundestagsabgeordneten den Vorrang vor Landespolitikern. Das spürte ein Mitarbeiter aus dem persönlichen Umfeld des Ex-Regierungschefs, der weit weg von Stuttgart seine Chancen als Bürgermeisterkandidat sondierte: Mappus-Leute, wurde ihm bedeutet, wolle man nicht. Auch in der Landtags-CDU gelten Mitglieder der abgewählten Regierung nun als "verbrannt". Nach Turbulenzen wegen seiner Regie konnte Fraktionschef Hauk den Tuttlinger Landrat Guido Wolf als Parlamentschef durchsetzen - ein Signal für den Neuanfang. Das Störfeuer der verbliebenen Mappus-Getreuen wurde als deren "letztes Aufbäumen" gewertet.

Die entscheidende Schlacht steht der CDU am Bodensee bevor

Indes, es war das vorletzte. Die entscheidende Schlacht steht der CDU am nächsten Wochenende am Bodensee bevor, wenn der Bezirk Südwürttemberg eine neue Spitze wählt. Dann kandidiert Ex-Umweltministerin Tanja Gönner, die sich vergeblich um den Partei- und Fraktionsvorsitz bemüht hatte, gegen den Bundestagsabgeordneten Thomas Bareiß. Nebst Staatsminister Helmut Rau war die 40-Jährige die engste Vertraute, manche sagen: das Gehirn des Premiers. CDU-intern ist von der "Mappus-Gönner-Rau-Clique" die Rede.

Die seit dem EnBW-Urteil einsetzende Selbstreinigung, könnte man meinen, dürfte die Chancen der eigentlich als Favoritin gehandelten Gönner deutlich schmälern. Doch das ist keineswegs sicher. In Oberschwaben tickt die Partei anders als im Rest des Landes, da haben mächtige Funktionäre wie Rudolf Köberle - in Stuttgart einst eher skurriler Agrarminister - das Sagen. Und die trommeln für ihre "Tanja", angesichts der zunehmenden Ächtung der Mappus-Leute nun erst recht. Hauptverantwortlicher, Helfer, Mitläufer - diese Kategorien der Aufarbeitung spielen fernab von Stuttgart wohl keine Rolle.

Bisher hat Gönner zum Aktiendeal geschwiegen

Im Stammland des EnBW-Großaktionärs OEW könnte Gönner indes gefragt werden, wie denn ihre Rolle bei dem Aktiendeal war. Bisher hat sie dazu eisern geschwiegen. Nun, auf StZ-Anfrage, lüftet sie den Schleier ein wenig. Offiziell sei sie nicht involviert gewesen, da die Sache nichts mit ihrem Ministerium zu tun hatte. Allerdings habe sie "rein informell von dem Geschäft vorab erfahren", wenn auch nichts "über Einzelheiten". Wann das war, was sie vom EnBW-Deal damals hielt und heute hält - das lässt sie unbeantwortet.

Gewinnt Gönner das Duell, sehen Parteikenner sie noch nicht am Ziel. Dann müssten sich der Vorsitzende Strobl, dem sie intern schon jetzt oft über den Mund fahre, und der Fraktionschef Hauk warm anziehen. Beim Bildungsparteitag dürfte über all das indes nur am Rande gesprochen werden. Eine Aussprache über die Lage der Partei ist im Programm nicht vorgesehen.

Pharma-Konzern Merck sieht Urteil gegen Mappus gelassen

Konflikt: Der neue Arbeitgeber von Stefan Mappus, der Pharmakonzern Merck, sieht sich vom Urteil gegen den Expremier nicht tangiert. Bei dem Verfassungsbruch gehe es nicht um „Sachverhalte, die unser Unternehmen betreffen“, sagt ein Sprecher der StZ. Insofern sehe man keinen Konflikt zu den hohen ethischen Maßstäben, die Merck an sich und seine Mitarbeiter anlegt.

Kritik: Nach Medienberichten rumort es in der Merck-Belegschaft wegen der Verpflichtung von Mappus als Brasilien-Chef. Den Posten erhalte ein Politiker nahezu ohne Wirtschaftserfahrung und ohne Kenntnis von Branche, Land oder Sprache. Dies demotiviere Mitarbeiter, die sich intern bewährt hätten. Die Antwort von Merck: „Gerüchte“ kommentiere man nicht.

Boykott: Hinweise, wonach die Bundesregierung oder das Kanzleramt an der Vermittlung von Mappus zu Merck beteiligt waren, dementiert das Unternehmen teilweise: „Das Bundeskanzleramt war an der Einstellung von Herrn Mappus nicht beteiligt.“ Vereinzelte Boykottaufrufe gegen Merck-Produkte sieht man gelassen: „Unsere Zahlen lassen keinerlei Reaktion erkennen.“