Tankstelle in Hildrizhausen Inhaber mit drei Stichen am Kopf genäht

Dennis Widmaier arbeitet gern in der Tankstelle. Auch wenn der Beruf manchmal gefährlich sein kann. Foto: Eibner/Edward Cheung

Ein Mann, der offenbar psychische Probleme hat, hat immer wieder die Tankstelle in Hildrizhausen im Visier. Vor zwei Wochen ist die Situation eskaliert. Wie konnte es so weit kommen?

An einem Sonntag betritt ein Mann mit übergezogener Sturmmaske die Esso-Tankstelle in Hildrizhausen. Die Mitarbeiterin im Verkaufsraum bekommt einen Schreck, doch sie weiß genau, um wen es sich unter der Maske handelt: Der Mann taucht trotz Hausverbot regelmäßig in der Tankstelle auf und sorgt für Probleme. An diesem Tag lässt er Bier mitgehen. Am folgenden Tag taucht er wieder auf. Diesmal ist der Inhaber Dennis Widmaier vor Ort und stellt den Mann im Hof der Tankstelle zur Rede. Erneut hat er Bier geklaut. Dann wird der Mann übergriffig und schlägt so zu, dass Widmaier eine Kopfwunde davonträgt und im Krankenhaus mit drei Stichen genäht werden muss.

 

Seit Juni ist Dennis Widmaier Inhaber der Esso-Tankstelle. Seither sei der Hausemer trotz Hausverbot bis zu acht Mal in der Tankstelle aufgetaucht. Es sei jedoch das erste Mal gewesen, dass der Mann zugeschlagen habe, erzählt Widmaier. Normalerweise lautet die Devise für seine Mitarbeitenden, bei Diebstählen sich selbst nicht in Gefahr zu bringen. Doch er selbst traf an dem Tag eine andere Entscheidung: „Ich wollte mich einfach nicht so offensichtlich beklauen lassen“, sagt der 36-Jährige aus Magstadt.

Polizeieinsätze enden regelmäßig in der Psychiatrie

Bereits am nächsten Tag steht er trotz seiner Kopfverletzung wieder hinter der Theke. Den Enthusiasmus für seinen Beruf hat er nach dem Vorfall nicht verloren. „Einmal Tankstelle, immer Tankstelle“, scherzt Widmaier. Und trotzdem stelle sich ihm die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Nach dem Zwischenfall in der Tankstelle drohen dem Angreifer nun strafrechtliche Konsequenzen. Doch der Mann ist kein Unbekannter in Hildrizhausen und wurde schon viele Male zuvor auffällig. Immer wieder musste in der Vergangenheit bereits die Polizei anrücken. Erst im April vermeldete die Polizei einen SEK-Einsatz, weil der Mann in seiner Wohnung tobte, laut Musik hörte und um sich schrie. Am Ende wurde er in eine psychiatrische Einrichtung gebracht. Einige Monate zuvor hatte er wieder die Tankstelle im Visier gehabt: Damals hatte er in das Gebäude eingebrochen und auf der Kühltruhe sitzend Bier getrunken bis die Polizei ihm Einhalt gebot. Auch hier endete der Einsatz für den Mann in einer psychiatrischen Klinik. Die Polizei bestätigt, dass es sich bei allen drei Vorfällen um denselben Mann gehandelt hat.

Auch psychisch kranke Personen haben Rechte

Es liegt nahe, dass sich viele Menschen fragen, wie es sein kann, dass jemand, der offenbar psychische Probleme hat und dementsprechend auffällig wird, immer wieder für Unruhe sorgen kann. Es ist jedoch eine Frage, die sich nicht einfach beantworten lässt. Es sei nachvollziehbar, dass das Verhalten von psychisch kranken Menschen auf das Umfeld sonderbar, belästigend oder sogar bedrohlich wirke, erklärt das Landratsamt auf Nachfrage. Allerdings habe auch der psychisch kranke Mensch Rechte, insbesondere das Freiheitsgrundrecht. Wenn es um Zwangseinweisung geht, sind entweder Landratsämter, große Kreisstädte oder Psychiatrien selbst dazu befugt, einen Antrag auf Unterbringung zu stellen. In einem Zeugnis muss in diesem Antrag attestiert werden, dass die betroffene Person psychisch krank ist und mit der Unterbringung eine Gefährdung anderer abgewendet werden kann. Doch die Unterbringung ist immer befristet.

„Viele Zeitgenossen entsprechen nicht den bürgerlichen Moralvorstellungen und verhalten sich auffällig oder lästig“, erklärt der Direktor des Böblinger Amtsgerichts, Tobias Brenner, auf dessen Schreibtisch immer wieder die Anträge auf Unterbringung in einer Psychiatrie landen. Um jemanden in einer Psychiatrie festzuhalten, müssten jedoch erhebliche Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen drohen. Belästigung oder geringfügige Sachbeschädigungen würden nicht ausreichen. Sprich: Die Hürden für eine Zwangseinweisung sind hoch. „Es geht hier schließlich um Freiheitsentziehung von staatlicher Seite“, erklärt der Amtsrichter. Eine abstrakte Gefahr in jemandem zu sehen, reiche nicht aus.

Dass damit trotzdem manche Probleme, vor allem Suchtprobleme, nicht gelöst werden können, ist auch dem Amtsrichter klar. „Wir leben in einer freien Gesellschaft, in der man das Recht hat, sich selbst zugrunde zu richten“, sagt der Amtsrichter. Sogenannte „Drehtürpatienten“, also Menschen, die regelmäßig eingewiesen werden und dann wieder auf freien Fuß kommen, sind zwar belastend für ihr Umfeld, doch die Betroffenen können auch nicht zu ihrem Glück gezwungen werden, erklärt Brenner. Jemanden präventiv einzusperren gehe nicht. „Nicht jeder, der sich unmöglich verhält, kann auch dauerhaft weggesperrt werden“, sagt Brenner.

Doch im Falle des Mannes aus Hildrizhausen ist nun eine Grenze überschritten: Gegen den Mann wird nun wegen schweren räuberischen Diebstahls ermittelt.

Das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz

Überfälle
Im Jahr 2024 wurden laut Angaben der Polizei fünf Tankstellen im Landkreis Böblingen überfallen. Dabei handelte es sich um Raubdelikte, inklusive räuberischem Diebstahl.

Unterbringung
Hat eine Person psychische Auffälligkeiten und ist eigen- oder fremdgefährdend, kommt das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz – PsychKHG) zur Anwendung. Dabei handelt es sich um ein Landesgesetz, das die rechtlichen Grundlagen für die Unterbringung psychisch kranker Menschen regelt.

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