Monatelang haben die Flüchtlinge an dem Stück gearbeitet, nun hat das Tanztheater der Gruppe Dancers across Borders Premiere gefeiert. Das Tanzen hat den Teilnehmern auch geholfen, ihre Fluchterfahrungen zu verarbeiten. Es gibt weitere Vorführungen.

Stuttgart - Sehnsuchtsvoll klingt das Klavier, wie in Zeitlupe bewegen sich dazu zwölf Männer und Frauen vorwärts – die Augen weit aufgerissen, als ob sie Schreckliches erblickten. Und das haben sie auch. Die Tänzerinnen und Tänzer, die da im Robert-Bosch-Saal des Treffpunkt Rotebühlplatz in blutrot gefleckten Oberteilen ihre Arme entwaffnend nach vorne strecken und sich wie Gräser im Wind wiegen, sind Flüchtlinge.

 

In Syrien, Äthiopien und Russland, im Iran oder im Irak erlebten sie Krieg, Gewalt, Hunger. Doch nun sind sie eine Gruppe, die Dancers across Borders. Gemeinsam mit der Choreografin Heidi Rehse und ihrem Assistenten Larry King Ofori Bamidile haben sie seit Oktober an ihrem ersten Stück gearbeitet, „World Second Hand“, das am Freitag Premiere im Bosch-Saal gefeiert hat – unterstützt von Salamaleque, Rehses Kompanie.

Viele Teilnehmer sind traumatisiert

In dem Tanztheater haben sie eigene Erlebnisse eingebracht. Initiiert wurde es von der Volkshochschule Stuttgart (VHS), die Deutsch- und Integrationskurse anbietet. „Wir haben das Tanztheater-Projekt für Flüchtlinge ins Leben gerufen, weil psychotherapeutische Begleitung ebenso wichtig ist wie Erstversorgung und Eingliederung durch Integrations- und Sprachkurse“, sagt Gudrun Hähnel, die Leiterin der VHS-Veranstaltungssparte. Das bestätigen Lisa Baumgartl und Lena Burbach, die das Projekt betreuen. Viele der Teilnehmer seien traumatisiert, sagt Lena Burbach. Im Prozess sei deutlich geworden, wie gut Tanz als Therapie wirke.

Die Teilnehmer schwärmen unisono – vom Projekt, von Heidi und Larry. Sie sind sich einig: Tanzen helfe, Gefühle herauszulassen, es bekämpfe Depressionen. Keiner hätte gedacht, wie schnell Fortschritte zu erzielen seien im Verarbeiten des Erlebten – und beim Deutschlernen. Ghaith etwa habe anfangs nicht kommuniziert. Nun gibt er im Stück ein Solo. Alle bestätigen: Tanzen stärke das Selbstbewusstsein. „Es gab auch Konflikte“, erinnert sich Heidi Rehse. „Aber wir haben sie alle gelöst.“ So seien anfangs auch Tränen geflossen, aber jetzt werde viel gelacht. „Die Atmosphäre hat sich gewandelt. Man muss nicht immer einer Meinung sein, die Chancen liegen in der Vielfalt.“

Finanzierung läuft im Sommer aus

In der Gruppe treffen verschiedene Nationalitäten, Kulturen, Religionen und Jahrgänge aufeinander. „Christen, Juden, Moslems, Ex-Moslems, Atheisten“, so Rehse. Sie seien zu einer Familie geworden, erklären die Geflohenen. Und Adel übersetzt, was alle denken: „Nach der Aufführung wollen wir zusammen weitertanzen.“ Auch Gudrun Hähnel hofft, dass die VHS das Projekt weiterführen kann. Dessen Finanzierung läuft im Sommer aus. „Wir hoffen, dass wir weitere Sponsoren finden.“

Dancers across Borders und Salamaleque Dance Company zeigen das Stück „World Second Hand“: Vorstellungen finden am Samstag, 2. Juli, um 19.30 Uhr und am Sonntag, 3. Juli, um 15 Uhr statt.