Lange war man in Finnland, das sich die Gleichberechtigung groß auf die Fahnen geschrieben hat, stolz auf die moderne, junge Regierungschefin Sanna Marin. Doch zwei umstrittene Tanzvideos bringen sie nun auch in der Heimat zunehmend in die Kritik.

Lange Zeit waren die Finnen stolz auf ihre junge, moderne Regierungschefin. Premierministerin Sanna Marin fand den Weg in internationale Medien wie wohl kaum eine finnische Politikerin vor ihr. Doch nun sorgt das Feierverhalten der 36-Jährigen auch für negative Schlagzeilen und Anfeindungen. Wie reagieren die Finnen darauf?

 

Begonnen hatte die Debatte damit, dass die Boulevardzeitung Iltalehti in der vergangenen Woche ein Video veröffentlichte, auf dem Marin beim ausgelassenen Tanzen zusammen mit befreundeten Promis zu sehen war. Die Premierministerin zeigte sich über den Vertrauensbruch verärgert, die Aufnahme sei allein für das private Umfeld gedacht gewesen. Am Freitag tauchte ein weiteres „Party-Video“ auf, auf dem zu sehen war, wie Marin mit dem finnischen Sänger Olavi Uusivirta eng umschlungen in einem Klub tanzt. Am Wochenende hat sich die Regierungschefin zu einem Kokaintest bereit erklärt, um Gerüchten vorzubeugen; auf einer Pressekonferenz meinte sie jedoch auch selbstbewusst: „Ich werde weiterhin feiern.“

Feministische Literatur gehört in den Schulen zur Pflichtlektüre

Kritik erfuhr die Sozialdemokratin vom Koalitionspartner „Zentrum“, dabei ging es jedoch nicht um die Moral, sondern um die Sicherheit des Landes. Die Parteivorsitzende und Finanzministerin Annika Saarikko meinte, dass Finnlands Regierungsmitglieder „unmittelbar zu einer Besprechung einberufen werden können“, also immer verfügbar sein müssen. Die Politikerin erinnerte an den Ukrainekrieg, Finnland lebe deshalb in „ernsten Zeiten“. Das Land, das mit Russland eine 1340 Kilometer lange Grenze teilt, hat mit der Unterstützung fast aller Parteien im Mai die Nato-Mitgliedschaft beantragt.

Grundsätzlich ist die oft als attraktiv wahrgenommene verheiratete Mutter einer fünfjährigen Tochter gerne in den Sozialen Medien unterwegs, wo sie viel aus ihrem Privatleben veröffentlicht. Auch sorgt sie mit ihren Auftritten immer wieder für Aufmerksamkeit auch in der internationalen Medien – etwa aufgrund eines tief geschnitten Dekolletés oder eines Rockkonzertbesuch in Lederjacke.

Marin, die vor knapp drei Jahren als jüngste Regierungschefin weltweit das Amt übernahm, verkörpert das Finnland, das Feminismus und Gleichstellung als politischen Auftrag versteht. Ihr Mann nahm Elternzeit, eine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem feministische Literatur in den Schulen zur Pflichtlektüre gehört. Seit 2017 hat die Republik auch einen internationalen Genderpreis ausgelobt.

Nicht alle Finnen sind über diese Entwicklung erfreut. Dies zeigte sich darin, dass die rechte Partei „Wahre Finnen“ in Umfragen nur vier Prozent hinter den Sozialdemokraten steht, im vergangenen Jahr diese sogar überholt hatte. Die Partei der „kleinen Leute“ will zurück zu einem traditionelleren Finnland und verweist auf eine überalterte Gesellschaft und die geringe Geburtenrate. Das kommt durchaus an in dem teils ländlich geprägten Land mit seiner langen forstwirtschaftlichen Tradition.

Aus den Reihen „Wahren Finnen“ werden auch die Attacken gegen die vielen Frauen im Kabinett in den Sozialen Medien geortet. Diese Hetze hat nach Analyse des Instituts „Stratcom“ im vergangenen Jahr ein Ausmaß angenommen, das die Demokratie in Finnland gefährdet. Die Anfeindungen, wie auch jetzt bei der Party-Debatte, bewirken gleichzeitig eine sehr große Solidarität mit der Politikerin, vor allem von Frauen, die nun eigene Tanzvideos in den Sozialen Netzwerken posten. Und zur Wahrheit gehört auch, dass das unmäßige Trinken am Wochenende in Finnland weit verbreitet und keinesfalls „Männersache“ ist.

Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass die Sozialdemokratin sich in der Vergangenheit bereits Fehler geleistet hat: so hat sie das Frühstück für sich und ihre Familie auf Staatskosten abgerechnet und ist in einen Nachtklub tanzen gegangen, obwohl sie zuvor Außenminister Pekka Haavisto getroffen und von seinem positiven Coronatest gewusst hatte.

Ob die Regierungschefin, der eine erfolgreiche Pandemie-Politik zugeschrieben wird, wirklich krisenfest ist, bewegt das Land aber am meisten. Die Regierungsfähigkeit der Politikerin wird angesichts der Möglichkeit einer russischen Aggression aktuell als entscheidend angesehen. Die russischen Medien haben den Fall jedenfalls genüsslich aufgenommen und spielen auf die mögliche Untreue der verheirateten Politikerin an. So schneidet der Kremlnahe „Erste Kanal“ das Tanzvideo mit dem Sänger mit Fotos aus Marins Familienleben gegen.