IG Metall und Arbeitgeberverband loben den Stuttgarter Abschluss als Grundstein für ein innovatives Arbeitszeitsystem. Das vielschichtige Werk belegt nach Ansicht eines Arbeitsmarktexperten die funktionierende Tarifautonomie.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Dem Südwestmetall-Chef Stefan Wolf schwante schon kurz nach dem nächtlichen Tarifabschluss in der Stuttgarter Liederhalle Böses: Die „Komplexität des Tarifergebnisses“ und die Höhe des Entgeltabschlusses seien eine „Hypothek, die für viele Betriebe schwer zu tragen sein wird“, sagte der Verhandlungsführer. Auch IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger äußerte die Erwartung, dass er nun viel zu tun habe, um den Mitgliedern das Tarifergebnis für die Metall- und Elektroindustrie zu erläutern. Beide fingen sogleich damit an, die Vorzüge aus ihrer Sicht hervorzuheben und die Nachteile eher hintanzustellen. Ein Überblick.

 

Die Lohnerhöhung Zum 1. April steigen die Gehälter um 4,3 Prozent. Für die Monate Januar bis März 2018 gibt es 100 Euro Einmalzahlung. Zudem erhalten alle Beschäftigten von Juli 2019 an dauerhaft eine weitere Jahressonderzahlung, die knapp drei Prozent in der Lohntabelle ausmacht: einen einheitlichen Festbetrag von 400 Euro plus ein tarifliches Zusatzgeld – T-ZUG genannt – in Höhe von 27,54 Prozent ihres individuellen Monatsentgelts. Von 2020 an werden die 400 Euro als T-ZUG-Bestandteil in die Lohntabellen integriert, wovon gerade untere Entgeltgruppen profitieren. Der Festbetrag kann aber von den Betrieben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten verschoben, abgesenkt oder gestrichen werden. Endlich gebe es eine dauerhafte Differenzierungsmöglichkeit – sie sei den Arbeitgebern immens wichtig, freute sich Stefan Wolf.

Flexibles Arbeitszeitsystem des 21. Jahrhunderts

Der Tarifvertrag läuft bis zum 31. März 2020. Alles in allem bringt er laut Südwestmetall eine Lohnerhöhung im Gesamtvolumen von durchschnittlich sieben Prozent über 27 Monate. „Dies ist in der Jahresbetrachtung der höchste Tarifabschluss der letzten zwölf Jahre“, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann mit Blick auf die noch niedrige Inflationsrate. In beiden Jahren hätte sich die Gewerkschaft jeweils an die vier Prozent Lohnzuwachs „herangerobbt“. Die Arbeitgeber sprechen von einer Kostenbelastung von „unter vier Prozent in beiden Jahren“. Befristete Teilzeit Ihr Kernziel hat die IG Metall erreicht – die befristete Teilzeit. Von 2019 an können alle Vollzeitbeschäftigten mit mindestens zwei Jahren Betriebszugehörigkeit ihre Arbeitszeit für mindestens sechs und maximal 24 Monate auf bis zu 28 Wochenstunden absenken. Dann können sie von der Teilzeit in die Vollzeit zurückwechseln. Eine Wiederholung ist möglich. Allerdings wurden betriebliche Grenzen eingezogen: Solange zehn Prozent der Beschäftigten in verkürzter Vollzeit oder 18 Prozent insgesamt in Teilzeit sind, muss der Arbeitgeber keine weiteren Anträge genehmigen. Zudem kann er den Wunsch nach befristeter Teilzeit beim Verlust von Schlüsselqualifikationen ablehnen.

Tarifliche Freistellungstage Den von der IG Metall erhofften Teillohnausgleich bei befristeter Teilzeit gibt es nicht – er hätte diese aus Arbeitgebersicht allzu attraktiv gemacht. Nun können sich Beschäftigte mit Kindern bis acht Jahren oder pflegebedürftigen Angehörigen sowie Schichtarbeiter erstmals für 2019 alternativ für acht tarifliche Freistellungstage entscheiden, wovon zwei Tage der Arbeitgeber finanziert. Dann müssen sie auf das tarifliche Zusatzgeld verzichten. Der Zeitwert der acht Tage sei höher als die 27,5 Prozent des individuellen Monatsentgelts, sagt Zitzelsberger. Daher sei für diese Beschäftigten, die lange im Zentrum des Tarifkonflikts standen, etwas erreicht worden. Den ursprünglich geforderten Entgeltzuschuss von 200 Euro pro Monat haben die Arbeitgeber als Ungleichbehandlung aller Teilzeitkräfte abgelehnt.

Anteil der 40-Stünder wird ausgeweitet

Für die drei Mitarbeitergruppen gelten aber bestimmte Voraussetzungen bei der Betriebszugehörigkeit. Damit soll die Inanspruchnahme der acht Tage begrenzt werden. Die Regelung, freie Tage statt des tariflichen Zusatzgelds zu gewähren, kann in Betriebsvereinbarungen auf die gesamte Belegschaft erweitert werden. Ganz sicher scheinen sich die Tarifparteien ihrer Sache aber nicht zu sein: Nach 24 Monaten wollen sie Bilanz ziehen und gegebenenfalls über Anpassungen reden. Mehrarbeitsvolumen Die Arbeitgeberseite feiert den größeren Spielraum bei der Mehrarbeit. Der Anteil der Beschäftigten, die länger als 35 Stunden und bis zu 40 Wochenstunden arbeiten, könne deutlich ausgeweitet werden, hob der Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger hervor – in bestimmten Fällen auf bis zu 50 Prozent. Damit werde nicht nur das durch Teilzeit entfallende Arbeitsvolumen ausgeglichen, sondern die Kapazitäten könnten insgesamt erweitert werden.

Erhalten bleibt zwar die Quote von maximal 18 Prozent der Belegschaft, mit denen 40-Stunden-Verträge vereinbart werden dürfen. Der Betriebsrat erhält ein Widerspruchsrecht, wenn die Quote um vier Prozentpunkte überschritten ist. Bei nachgewiesenem Fachkräftemangel kann die Quote per Betriebsvereinbarung auf 30 Prozent angehoben werden – dies ist bisher nur zur Begrenzung von Zeitarbeit möglich. Weiter gesteigert werden kann die Quote der „40-Stünder“ auf bis zu 50 Prozent der Belegschaft in Technologiebetrieben – wofür heute noch strenge Voraussetzungen gelten.

„Höchster Abschluss seit zwölf Jahren“

Brisanz birgt die Wechselmöglichkeit aller Unternehmen zu einem neuen Berechnungsmodell – dem „kollektiven betrieblichen Arbeitszeitvolumen“ mit durchschnittlich 35,9 Stunden. Mitgezählt werden auch heutige Teilzeitbeschäftigte. Wo es viele von ihnen gibt, ist das aktuelle Arbeitszeitvolumen entsprechend niedriger und kann spürbar angehoben werden. Folglich eröffnet jeder Teilzeitbeschäftigte die Möglichkeit für zusätzliche 40-Stunden-Verträge. „Mit diesem Modell haben wir genau die Flexibilisierung nach unten und nach oben vereinbart, die wir angestrebt haben“, betont Verbandspräsident Dulger. IG-Metall-Chef Hofmann lobte, das durch die Teilzeit ausfallende Arbeitszeitvolumen könne ausgeglichen werden, ohne dass es bei den Beschäftigten zu einer Arbeitsverdichtung komme.