Eine spannende Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie hat begonnen: Für jeden Beschäftigten will die IG Metall einen Anspruch auf die 28-Stunden-Woche erkämpfen. Besonders profitieren sollen Angehörige von Pflegebedürftigen oder Mitarbeiter in Schichtbetrieben.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger zeigt sich überrascht: Unter den 17 Diskussionsrednern, die kurz zuvor in der Tarifkommission aufgetreten seien, habe niemand Skepsis geäußert. „Da war nicht einer, der gesagt hat: Bei uns läuft es problematisch“, sagt er. Eine solche hohe Homogenität in der Forderungsdebatte habe er als Bezirksleiter noch nicht erlebt. Selbst das Thema Dieselgate habe keine Rolle gespielt. „Das ist gar nicht erwähnt worden.“ Die Zuversicht ist demnach groß bei den Betriebsfunktionären, dass die Forderung für die Tarifrunde „machbar, bezahlbar, durchsetzbar“ ist, wie ihr Verhandlungsführer versichert. Wie begründet die IG Metall ihre Entgeltforderung? Sechs Prozent mehr Geld verlangt die Gewerkschaft. Die Gesamtwirtschaft werde voraussichtlich im Jahr 2017 ein Wachstum in der Größenordnung von 1,7 Prozent erreichen, argumentiert sie. Für 2018 sei eine gesamtwirtschaftliche Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von etwa 1,8 Prozent und eine Steigerung der Produktivität um etwa 1,2 Prozent zu erwarten. Die Steigerung der Verbraucherpreise werde nach den Prognosen der Institute bei 1,7 Prozent liegen und sich der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent annähern. Zudem will die IG Metall wie bisher mit einer „Umverteilungskomponente“ die Binnennachfrage beleben.

 

Wer soll von der Flexibilisierung der Arbeitszeiten profitieren? Alle Beschäftigten sollen einen individuellen Rechtsanspruch auf eine Verkürzung ihrer Arbeitszeit erhalten. Damit könnten sie für zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden runter gehen und zur 35-Stunden-Woche zurückkehren oder erneut für zwei Jahre kürzer arbeiten. Alles in allem wäre dies ein Teilzeitanspruch von vier Jahren. Genutzt werden kann er für ein Sabbatical oder einen Hausbau.

Bei Beschäftigten mit Kindern bis zu 14 Jahren oder mit zu pflegenden Angehörigen, die das Angebot nutzen, soll zumindest ein Teil des entfallenden Lohnes ausgeglichen werden – wie hoch der Entgeltzuschuss sein soll, hat die Gewerkschaft noch nicht festgelegt. Es gibt zwar gesetzliche Freistellungsansprüche. So kann ein Arbeitnehmer im Rahmen der sogenannten Pflegezeit bis zu zehn Tage fernbleiben und für bis zu sechs Monate von der Arbeit freigestellt werden. Zitzelsberger argumentiert jedoch, dass die gesetzlichen Vorschriften verbessert werden sollen, zumal diese keinen reellen Lohnausgleich vorsähen – angestrebt wird somit ein Novum der Tarifgeschichte.

Einen Entgeltzuschuss erwartet die Gewerkschaft ebenso für Beschäftigte in belastenden Arbeitszeitsystemen wie zum Beispiel Schichtarbeit oder für Außendienstbeschäftigte (Monteure), „die fortwährend um die Welt jetten müssen“.

Wie viele Beschäftigte könnten das neue Angebot annehmen? Zitzelsberger schätzt, dass lediglich kleine Teile der Belegschaften das Angebot nutzen würden: Die Pflege eines Angehörigen, mit der die Zeit bis Inanspruchnahme eines Heimplatzes überbrückt wird, sei eine spezifische Situation, kein Massenphänomen. Und „vielleicht ein oder zwei Prozent der Beschäftigten“ würden die Verkürzung zur Kinderbetreuung nutzen. Vage ist die Prognose bei Schichtbeschäftigten: da könnten „fünf oder 50 Prozent“ auf die kurze Vollzeit eingehen. Es gebe einen „großen persönlichen Bedarf“. Generell arbeitet etwa jeder dritte Beschäftigte im Schichtbetrieb. Wie geht die IG Metall mit den Einwänden der Arbeitgeber um? Weil sich kleinere Unternehmen mit mehr Spielräumen bei der Arbeitszeit schwerer tun dürften als große, fragt sich, ob der neue Anspruch an bestimmte Betriebsgrößen gekoppelt sein soll. Da wehrt Zitzelsberger ab: „Ich muss mir nicht die Köpfe der Arbeitgeber zerbrechen“, sagt er.

Auch den Fachkräftemangel hält er für keinen guten Einwand der Arbeitgeber. Dies sei eine „wichtige Debatte, die wir offensiv führen müssen“. Seit vielen Jahren dränge die IG Metall die Gegenseite zu einer höheren Ausbildungsquote und zu mehr Weiterbildung. Die Arbeitgeber dürften nicht dem Bedarf der Menschen nach mehr Flexibilität aufgrund von eigenen Versäumnissen eine Absage erteilen.

Fraglich ist noch, wie die Arbeitszeitvolumina ersetzt werden, die durch die verkürzte Vollzeit anfallen. „Da gibt es noch keine Lösung von unserer Seite“, sagt Zitzelsberger. Leicht zu bemessen sei der Arbeitsausfall in Akkordsystemen. Auch wo er schwerer zu berechnen sei, müsse man der Leistungsverdichtung für die verbleibenden Kollegen entgegenwirken – denn die wären sonst die Verlierer.

In Baden-Württemberg liege der Anteil der Arbeitsverträge oberhalb von 35 Wochenstunden über 30 Prozent – deutlich höher, als im Tarifvertrag vorgesehen. Dort gilt nämlich die 18-Prozent-Quote: Nicht mehr als 18 Prozent der Belegschaft darf bis zu 40 Stunden arbeiten. Folglich „werden wir reden müssen, wie wir das ganze Thema neu steuern können“, sagt Zitzelsberger. Die Arbeitgeber müssten alles dafür tun, um die Fachkräftelücke selbst zu schließen.

Klar ist für den Bezirksleiter eines: Einen Tarifabschluss werde es nur mit einem Ergebnis in beiden Teilen der Forderung geben. „Das Paket ist nicht aufschnürbar.“