Bei der Tarifrunde im Tageszeitungsgewerbe sind die Fronten verhärtet. Die Gewerkschaften reagieren vor der vierten Verhandlungsrunde an diesem Montag mit weiteren Warnstreiks auf das bisherige Angebot des Verlegerverbandes. Es geht nicht nur ums Geld.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Gute Journalisten von guten Tageszeitungen sind Lotsen in einer zur Maßlosigkeit neigenden Medienwelt. Diese anspruchsvolle Funktion hat einen Preis, erst recht in Zeiten von Fake-News und massenhaften pseudojournalistischen Inhalten im Internet. Weil die 13 000 deutschen Tageszeitungsjournalisten von der allgemeinen Einkommensentwicklung nicht abgehängt werden wollen, gehen sie auf die Straße. In diversen Redaktionen der Republik gibt es derzeit Warnstreiks – auch bei den tarifgebundenen Blättern Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten. Anlass ist die vierte Verhandlungsrunde an diesem Montag in Frankfurt. In Stuttgart werden bis zu 300 Journalisten aus Baden-Württemberg zur zentralen Streikversammlung erwartet.

 

Verdi und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) fordern Lohnerhöhungen von 4,5 Prozent – mindestens 200 Euro mehr für Volontäre und Jungredakteure. Der Bundesverband der Zeitungsverleger (BDZV) bietet bisher ein Plus von zweimal 1,3 Prozent über eine Laufzeit von 30 Monaten – und ein Plus von 120 Euro für die Berufseinsteiger. Die 2,6 Prozent würden bei der aktuellen Inflationsrate von 1,6 Prozent einen Reallohnverlust über zweieinhalb Jahre bedeuten, monieren die Gewerkschaften. Sie entsprächen einer jährlichen Gehaltssteigerung um 1,04 Prozent. Dabei gehe es den Verlagen gut, versichern sie. Verdi und DJV fürchten somit auch, dass die Zeitungsbranche für den Berufsnachwuchs weiter an Attraktivität verliert. Ein ausgebildeter und in den meisten Fällen studierter Jungredakteur fängt heute mit einem Monatsbruttogehalt von 3253 Euro an; nach 14 Berufsjahren kommt er schrittweise auf 4793 Euro.

Andere große Branchen sollen kein Maßstab sein

Verglichen mit anderen Medienbereichen wie dem Rundfunk „stehen die Zeitungsredakteure mit an der Spitze“, hält Georg Wallraf, Verhandlungsführer des BDZV, gegenüber unserer Zeitung dagegen. Er verweist unter anderem auf das Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie die obligatorische Altersversorgung. Es gebe auch viele Startups im Medienbereich, die deutlich schlechter bezahlten und schlechtere Arbeitskonditionen hätten, aber trotzdem attraktiv für junge Leute seien. „In den neunziger Jahren sind die Lohnsteigerungsraten in den Zeitungsredaktionen exorbitant gewesen, weil es den Verlagen wirtschaftlich sehr gut gegangen ist“, sagt Wallraf. Von diesem „hohen Niveau“ will er runter, weshalb die Lohnzuwächse anderer großer Branchen für ihn kein Maßstab sind.

Auch die enorme Arbeitsverdichtung in den Redaktionen sieht er nicht als stichhaltiges Argument für Lohnzuwächse an. „Sie mag größer geworden sein, trifft aber alle Beschäftigten – die gesamte Wirtschaft ist dem höheren Druck ausgeliefert“, sagt der Verhandlungsführer. „Und sie ist bei weitem nicht so dramatisch, wie es manchmal dargestellt wird.“ Denn die Digitalisierung bringe auch erhebliche Erleichterungen in den Arbeitsalltag.

Automatische Gehaltssteigerung ist umstritten

In den vorigen Tarifrunden wurden des Öfteren bereits Einschnitte in das Gehaltsgefüge vorgenommen – bei den Sonderzahlungen etwa, die über mehrere Jahre abgeschmolzen werden, sodass das Jahreseinkommen von 2019 an nur noch 13,5 Monatsgehälter umfasst. Für Neueinsteiger und für Redakteure in Norddeutschland gilt dies schon seit 2014.

Auch die Sprünge in höhere Lohnstufen aufgrund langjähriger Berufszugehörigkeit wurden etwas gebremst. Wallraf hält mit Ausnahme der ersten Berufsjahre eine solche Automatik der Gehaltssteigerung für nicht mehr zeitgemäß. Sein am Verhandlungstisch geäußerter Satz vom „beamtenmäßigen Absitzen von Berufsjahren“ hat bei den Redakteuren viel Unmut ausgelöst, doch er steht dazu. Er könne es noch nachvollziehen, wenn Betriebstreue mit Gehaltssteigerungen belohnt würden, sagt er. Doch sei es immer ein Kritikpunkt der Verleger gewesen, dass ein Verlag den Gehaltsaufstieg eines zu ihm gewechselten Redakteurs gewissermaßen für den vorherigen Arbeitgeber mit bezahlt.

Auch Redakteure wollen mehr Weiterbildung

Die Digitalisierung verändert den Journalistenberuf massiv. Daher wollen die Arbeitgeber Gehaltssprünge künftig mit der Übernahme neuer Arbeitsinhalte verknüpfen. In so einem Fall soll der Redakteur, so der Plan der Verleger, seinen Qualifizierungsbedarf anmelden. Wenn der Vorgesetzte ihm entweder keine neue Aufgabe – beispielsweise am Newsdesk (der Nachrichtenzentrale einer Redaktion) – zuweist oder keine Qualifizierungsmaßnahme anbietet, springt der Redakteur automatisch in die nächste Berufsjahresgruppe. Umgekehrt könnte ein Arbeitgeber die automatische Höherstufung verweigern, falls ein Redakteur sich weigert, an einer angebotenen Qualifizierung teilzunehmen, die für eine neue Aufgabe erforderlich ist.

Damit will der BDZV im Sinne eines modernisierten Tarifvertrags beiden Seiten Anreize geben, alle Redakteure technisch fit zu machen für ihre tägliche Arbeit. Weiterbildung ist freilich auch im Sinne der Redakteure, weshalb Verdi viel lieber einen Qualifizierungs-Tarifvertrag hätte, wie er auch in anderen Branchen üblich ist. Eine Abhängigkeit der Weiterbildung vom Gehaltsgefüge lehnt die Gewerkschaft allerdings ab.

Noch kein Durchbruch in Sicht

In der Vergangenheit haben die Tarifrunden oft recht lange gedauert, was bei den Redakteuren den Eindruck aufkommen ließ, die Arbeitgeber wollten erst die Streikbereitschaft in den Redaktionen erkunden. „Die testen den Widerstand“, heißt es auch diesmal wieder bei Verdi. Wallraf wendet ein, dass es ihm lieber wäre, „wenn wir uns von Anfang an in einer kleinen Runde zusammensetzen und bei ein, zwei Terminen die Spielräume ausloten könnten, um dann in der dritten oder vierten Runde im größeren Kreis die Themen zum Abschluss zu bringen“. Doch glaubt er, dass die Gewerkschaften die lange Tarifrunde ihrerseits bräuchten, um ihre Mitglieder zu aktivieren und um neue zu werben.

Dem Vernehmen nach reicht Verdi und DJV der bundesweite Druck in der Tat noch nicht aus, um einen für sie tragfähigen Kompromiss zu erzwingen. An diesem Montag erwarten jedenfalls beide Seiten noch keinen Abschluss. Aus Verhandlungskreisen der Gewerkschaft heißt es, bisher hätten die Verleger gar nicht ernsthaft verhandelt. Ihr Angebot sei auch „nicht verhandlungsfähig“. Der Verhandlungsführer der Verleger hofft, dass man jetzt über alle – auch die strukturellen – Themen intensiv reden werde. Dann sollte allerdings ein Ende der Tarifrunde absehbar sein: „Spätestens nach fünf Runden müssten wir eigentlich zu einem Ergebnis kommen.“