Die Tarifverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie sind ins Stocken geraten. Die Gespräche am Mittwochabend in Böblingen wurden ohne erkennbaren Fortschritt abgebrochen. Nun drohen wieder die neuen 24-Stunden-Streiks.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Böblingen - IG Metall und Arbeitgeberverband haben am späten Mittwochabend in Böblingen die Verhandlungen über einen Pilotabschluss ohne sichtbaren Fortschritt abgebrochen. Beide Tarifparteien zeigten sich enttäuscht von der Gegenseite. Nun sollen die jeweiligen Gremien über den weiteren Fortgang beraten.

 

„Wir haben der IG Metall Vorschläge unterbreitet, um das strittige Thema Arbeitszeit im beiderseitigen Einvernehmen zu lösen“, sagte Südwestmetall-Chef Stefan Wolf nach achtstündigem Poker. Die Gewerkschaft habe in zentralen Fragen „Bedingungen formuliert, die für unsere Betriebe nicht zumutbar wären“. Bezirksleiter Roman Zitzelsberger warf den Arbeitgebern hingegen vor, „an vielen Stellen eine Rolle rückwärts gemacht zu haben“. Die Abstände seien größer und nicht kleiner geworden.

Woran es genau hakt, wollten beide nicht erläutern. Seit der dritten Runde hatte eine Expertenkommission an Kompromissen gearbeitet, die offenbar von außen in Frage gestellt wurden. Strittig ist weiter der von der IG Metall geforderte Entgeltzuschuss für Beschäftigte, die zur Betreuung von Angehörigen in eine befristete Teilzeit gehen. Die Arbeitgeber lehnen ihn als rechtswidrig ab. Dafür und für den Südwestmetall-Wunsch nach einem größeren Mehrarbeitsvolumen hatte Zitzelsberger Lösungen vorgeschlagen. Die IG Metall habe einen „großen Schritt“ in Richtung Arbeitgeber gemacht, betonte er.

Zum Auftakt hatte er einen endgültigen Einigungsversuch mit Beginn am Freitagabend angedeutet – dieser scheint weiterhin möglich. Er verlasse den Tisch, werfe ihn aber nicht um, sagte der Bezirksleiter. Dann müsste ohnehin noch über die Lohnhöhe gepokert werden: Da könnte die IG Metall sogar eine Vier vor dem Komma anstreben – im Laufe der Tarifrunde sind die Erwartungen erkennbar gestiegen.

Ganztagesstreiks könnten nächste Woche beginnen

Die angedrohten 24-Stunden-Streiks werden somit wahrscheinlicher. Am Freitag könnte der Gewerkschaftsvorstand diese beschließen. Dann würden die Ganztagsstreiks in ausgewählten Betrieben ab Mitte kommender Woche losgehen – Voraussetzung sind positive Voten der Belegschaften.

Das Damoklesschwert baumelt damit gefährlich locker über den Köpfen der Arbeitgeber. Diese haben einen Riesenrespekt vor dem neuen Arbeitskampfkonzept. Denn vor allem die Fahrzeughersteller sind momentan derart ausgelastet, dass die ganztägigen Produktionsausfälle – anders als bei den Warnstreiks – nicht binnen kurzer Zeit kompensiert werden könnten. Die Wochenenden sind mit Sonderschichten ohnehin schon voll belegt. Folge wäre ein Schaden in Höhe von vielen Millionen Euro für die Metall- und Elektroindustrie. Südwestmetall-Chef Wolf mag auf konkrete Auswirkungen nicht eingehen, warnt aber vor der Rufschädigung des Standorts Deutschland. Die Hersteller im Ausland hätten keinerlei Verständnis für Produktionsverzögerungen, wenn bestreikte Zulieferer hierzulande ihre Teile nicht liefern.

Rechtswidrig sind die Tagesstreiks prinzipiell nicht – die Gewerkschaft kann so lange streiken lassen, wie sie will. Zwar haben die Arbeitgeber mit juristischen Gegenmaßnahmen gedroht – aber nur, weil sie die Forderung der IG Metall und damit auch die Streiks als unrechtmäßig erachten. Allerdings sind sie an der Stelle auch schon wieder zurückgerudert: Nun erwägt Südwestmetall, doch nicht gleich vor Gericht zu ziehen, um einstweilige Verfügungen gegen die Ganztagsstreiks zu erwirken. Stattdessen würde man lieber gleich ins Hauptsacheverfahren einsteigen. Fazit: Die Ausstände würden nicht verhindert, doch die IG Metall müsste das Restrisiko tragen, später millionenschweren Schadenersatz zahlen zu müssen.

Immer die gleichen Streikbetriebe

Bereits auf dem Gewerkschaftstag im Oktober 2015 hatte sie das neue Arbeitskampfkonzept auf den Weg gebracht – auch auf Druck der Stuttgarter Belegschaften. Vorausgegangen war vielfältige Kritik der Basis. So wird beklagt, dass die IG Metall seit 2003 nicht mehr ernsthaft gestreikt hat und einen Nachweis ihrer Arbeitskampffähigkeit schuldig bleibt. Zudem hat die Gewerkschaft die Ausrechenbarkeit ihrer Aktionen als Problem erkannt. Als zentrale Streikbetriebe wurden stets die gleichen auserkoren: Porsche, Daimler & Co. Bei der neuen Arbeitskampfstufe nach den Warnstreiks sollen mehr Tarifgebiete und Belegschaften einbezogen werden – möglichst wenige Betriebe sollen sich nur als Zuschauer fühlen. Damit würde die Mitgliedschaft stärker emotionalisiert. Den Erzwingungsstreik sehen auch führende Arbeitnehmerfunktionäre wegen der Verflechtung der Wirtschaft als nicht mehr zeitgemäß an.

Wesentlich soll die Streikmoral mit Geld gehoben werden, weil die IG Metall für 24-Stunden-Streiks eine Unterstützung als Lohnausgleich zahlt – anders als bei Warnstreiks. Die Entgeltausfälle hatten an der Basis zu Frust geführt. Vorsitzender Jörg Hofmann nennt das neue Konzept eine „Riesenchance“. Es ist für kampfeslustige Beschäftigte so attraktiv, dass er in Zugzwang geraten könnte, es bald umzusetzen.