Tarifrunde im öffentlichen Dienst Verdi bereitet sich auf den Notfall vor

Die Beschäftigten der Abfall- und Entsorgungswirtschaft gehören zu den Bastionen der Gewerkschaft Verdi in den Tarifrunden. Foto: picture alliance/dpa/Bernd Weissbrod

Zu Beginn der Tarifrunde im öffentlichen Dienst verlangt die Gewerkschaft einen vollständigen Inflationsausgleich vor allem für die unteren Einkommensgruppen. Bei der Mobilisierung geht Verdi diesmal ungewohnte Wege.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Oftmals tragen die Gewerkschaften den Gedanken der Solidarität wie ein Standarte vor sich her. In der Tarifrunde für mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die an diesem Dienstag in Potsdam beginnt, könnte sich dieser abstrakte Anspruch jedoch als entscheidend für den Verlauf herausstellen. Denn angesichts der Preisexplosionen braucht es besondere Maßnahmen. Somit geht es nicht um Sonderforderungen für spezielle Berufsgruppen, sondern einfach nur um mehr Geld. 10,5 Prozent höhere Tariflöhne verlangen die Gewerkschaften – mindestens 500 Euro im Monat mehr. Auch die steuer- und sozialabgabenfreie Inflationsausgleichzahlung von bis zu 3000 Euro dürfte eine Rolle spielen.

 

Hohe Anforderungen an die Solidarität

„Darauf kann man nur stolz sein“, sagt der Verdi-Landesvorsitzende Martin Gross. „Der soziale Gedanke, dass den Beschäftigten in den unteren Einkommensgruppen besonders geholfen werden müsse, durch die Krise zu kommen, spielt eine Riesenrolle.“ Dies sei auch denen wichtig, für die eine Mindesterhöhung gewöhnlich keine große Bedeutung habe. Pfleger, Erzieher oder Müllwerker – alle seien sich einig: Das größte Problem hat derzeit, wer am wenigsten verdient. „Da brauchen wir einen hohen solidarischen Faktor“, meint er. Wer, wie etwa in der Entsorgungs- und Abfallwirtschaft, ca. 2500 Euro im Monat verdiene, hätte einen stärkeren Ausgleich nötig. „Wenn diese Leute sonst unterstützende Transferleistungen bekommen müssten, dann würde es der Staat sowieso zahlen.“

Die unteren Einkommensgruppen profitieren nur eingeschränkt von den Entlastungspaketen der Bundesregierung, weil lediglich ein Teil der Inflation aufgefangen wird. „Je weniger die Menschen verdienen, desto höher ist die Inflation wegen der brutalen Preissteigerungen bei den Lebensmitteln.“ In dem Bereich wirke „überhaupt keine Entlastung“, sagt der Verdi-Landeschef.

Drei Termine haben die Verhandlungspartner von Verdi und Beamtenbund sowie von Bund und Kommunen bis Ende März vereinbart. Gelingt bis dahin keine Einigung, könnte es zur Schlichtung kommen, wenn eine Seite sie einfordert. Das Verfahren muss aber nicht mit einer Einigung enden – ein flächendeckender Arbeitskampf ist noch möglich. Eine Schlichtung ist für beide Seiten mit Risiken verbunden, weshalb weder Gewerkschaften noch Arbeitgeber diese Option bisher anstreben.

Enger Kontakt zu den Beschäftigten in den Betrieben

Und weil die völlige Eskalation nicht ausgeschlossen werden kann, geht Verdi diesmal in der Vorbereitung und Begleitung der Tarifrunde neue Wege. Seit gut drei Monaten versucht man sich auf alle Eventualitäten und letztlich auf den Notfall vorzubereiten. In der ersten Phase werden daher zunächst nur viele kleine betriebsnahe Warnstreiks, sogenannte Arbeitsstreiks, mit relativ wenigen Beschäftigten erwogen. Ziel ist die direkte Ansprache der Mitglieder, die in den Coronajahren gerade aus Verdi-Sicht arg unter den Kontaktbeschränkungen gelitten hat. In diesen gesellschaftlich schwierigen Zeiten, so die Philosophie, reicht das Flugblatt nicht mehr aus – da braucht es die unmittelbare Kommunikation. Da zeigt sich Gross „frohen Mutes“ für die Mobilisierung, weil es vielfältige Ansätze gebe.

Frühzeitig soll den Beschäftigten klargemacht werden: Wenn es im April oder Mai wirklich ernst werden sollte und sich die Arbeitgeber weiterhin einer Lösung verweigern, dann müssten sie auch mitziehen und die Arbeit tatsächlich niederlegen. Die Chance, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, sei vor Ort nun mal größer als bei der Kundgebung auf dem Marktplatz.

„Einen längeren Atem haben, wenn es wirklich schwierig wird“

„Ich lege großen Wert darauf, dass in der ersten Stufe Fundamentarbeit in der entsprechenden Breite gemacht wird“, sagt der Landesvorsitzende Gross. Diese sei „ausschlaggebend für den Erfolg“ der Tarifrunde und „die Gewähr, dass wir einen längeren Atem haben, wenn es wirklich schwierig wird“. Denn darauf müsse man sich vorbereiten, „um in der entscheidenden Phase stärker zu sein“. Seine Erfahrung sei: Man müsse den Abschluss machen, wenn der Druck am höchsten sei. Dann würden sich beide Seiten am ehesten anstrengen, um zum Ergebnis zu kommen.

Bis dahin würde der Druck Richtung zweite Verhandlungsrunde (22./23. Februar) nur schrittweise intensiviert, um dann bis zur dritten Runde (27. bis 29. März) mit regionalen Aktionen noch deutlich steigerungsfähig zu sein.

An einer Verdi-Umfrage zur Unterstützung der Tarifforderungen haben sich zudem bis Sonntagabend bundesweit mehr als 325 000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes beteiligt. Beim sogenannten Stärketest wurde konkret die Bereitschaft abgefragt, für die 10,5 Prozent zu kämpfen – auch im Land haben Zigtausende unterschrieben.

In der Lohnentwicklung aufgeholt

Fahrplan
 Nach dem Auftakt folgen am 22./23. Februar und 27./28./29. März weitere Verhandlungstermine in Potsdam. Folgen könnte eine Schlichtung im April.

Angebot
 Speziell die zehn Jahre vor der aktuellen Krise waren für die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst gute Jahre. Seit dem Jahr 2000 sind die Tarifentgelte bei Bund und Kommunen somit um 59 Prozent gestiegen – in der Gesamtwirtschaft allerdings um 63 Prozent und in der Metallindustrie sogar um bis zu 70 Prozent.

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