2015 war ein Rekordstreikjahr: Das Institut der deutschen Wirtschaft misst die höchste Zahl an Ausfalltagen durch Arbeitskämpfe seit 1992. Gewichtige Tarifrunden und der ungelöste Konflikt bei der Lufthansa bergen auch für 2016 reichlich Konfliktpotenzial.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Im neuen Jahr werden wieder etliche Schwergewichte der Tarifpolitik um höhere Einkommen pokern. Offen ist, ob Wirtschaft und Bevölkerung erneut in große Unruhe versetzt werden. Für 2015 hat das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) 960 000 durch Streiks ausgefallene Arbeitstage errechnet. Dies ist die höchste Zahl seit 1992 und ein rapider Anstieg: 2014 waren es knapp 157 000 Ausfalltage und 2013 auch nur um die 160 000. So hat die Zahl der Arbeitskämpfe das Niveau von Großbritannien erreicht, liegt allerdings noch unter den Verhältnissen in Frankreich oder Italien.

 

Vor allem die Gewerkschaft Verdi hat 2015 die Konfrontation gesucht: bei den Kita-Erzieherinnen und der Post, bei Amazon und der Lufthansa. Im Luftfahrtkonzern ringen gleich drei Gewerkschaften um Einfluss: neben Verdi auch die Vereinigungen der Piloten (Cockpit) und der Flugbegleiter (Ufo). Bei der Deutschen Bahn schaukeln sich zwei Rivalen gegenseitig hoch: die Gewerkschaften der Lokführer (GDL) und der Eisenbahner (EVG). „Wir müssen aufpassen, dass die Entwicklung von 2015 nicht einreißt“, sagt der IW-Tarifexperte Hagen Lesch. Vornehmlich werden die Verhandlungen 2016 in Industriezweigen geführt, in denen heftige Tarifschlachten zuletzt ausgeblieben sind: bei Metall, Chemie und Bau. Doch die Spartengewerkschaften bleiben ein Unsicherheitsfaktor. Der Großkonflikt bei der Lufthansa ist nicht beigelegt, und im Herbst wird wieder bei der Bahn gefeilscht – wenn auch lediglich ums Geld und nicht um grundsätzliche Vertretungsansprüche der Gewerkschaften. Das Konfliktpotenzial sei auch im neuen Jahr gegeben, sagt Lesch. Doch hoffe er, dass die Akteure dazugelernt hätten und eher auf Schlichtung setzten.

2015 haben die Metaller mit ihrem Abschluss von 3,4 Prozent für 15 Monate Maßstäbe gesetzt. Branchenübergreifend wurden Tarifabschlüsse zwischen zwei und 3,5 Prozent getätigt – bei länger laufenden Verträgen bewegte sich das Plus zwischen 1,5 und fast 3,0 Prozent. In den nächsten zwölf Monaten werden für knapp zwölf Millionen Beschäftigte neue Tarifverträge ausgehandelt, schätzt das WSI-Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Ein Überblick:

Gesamtmetall-Präsident mahnt zur Mäßigung

Metall- und Elektroindustrie: Die Metalltarifrunde, bei der es um 3,7 Millionen Beschäftigte geht, schlägt schon jetzt Wellen. Dabei beschließen die Tarifkommissionen der IG Metall erst am 28. Januar eine Forderungsempfehlung, der Vorstand folgt am 2. Februar. Besiegelt wird die Forderung am 23. Februar in den Tarifkommissionen und am 29. Februar im Vorstand. Erste Verhandlungen stehen Mitte März an, die Friedenspflicht endet am 28. April. Klar ist, dass eine reine Lohnrunde ansteht, was für zügige Verhandlungen spricht.

IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger will mit einer „angemessenen Entgeltsteigerung die Inlandsnachfrage stabilisieren“, wobei aktuelle weltwirtschaftliche Risiken berücksichtigt werden sollen. Weil das Selbstbewusstsein der IG Metall unerschütterlich zu sein scheint, warnt Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger vorsorglich vor Übertreibungen: „In der Metall- und Elektroindustrie sind die Löhne im Vergleich zum Vorkrisenniveau 2008 um 20 Prozent gestiegen – die Produktivität aber um weniger als zwei Prozent“, sagte er der Stuttgarter Zeitung. „Daraus ergibt sich ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, der die Unternehmen belastet und der mit verantwortlich dafür ist, dass Investitionsentscheidungen vielfach zu Gunsten ausländischer Standorte fallen.“ Entsprechend klug müsse die Tarifpolitik im kommenden Jahr agieren, mahnt Dulger.

Brisanz dürfte die neue Streikstrategie der IG Metall beinhalten, die ihr mehr Beweglichkeit bringen soll – die Warnstreikintensität dürfte also nicht abnehmen.

Verdi dürfte den Konfliktkurs fortsetzen

Im öffentlichen Dienst von Bund und Gemeinden laufen die Verträge Ende Februar aus – verhandelt wird über 2,4 Millionen Beschäftigte. Von Mitte Januar bis Mitte Februar wird die interne Diskussion intensiviert. Der Beschluss über die Forderung erfolgt am 18. Februar. Die Verhandlungen sollen Ende März beginnen. Angestrebt wird ein Abschluss bis Ende April.

Verdi dürfte den Konfliktkurs von 2015 fortsetzen, so dass mit Warnstreiks zu rechnen ist, wenn auch nicht in der Härte wie bei den Kita-Erzieherinnen im Sommer.

Chemiegewerkschaft will schlicht mehr Geld

Chemieindustrie: Die Entgeltverträge in der chemischen Industrie für 600 000 Beschäftigte enden im Sommer. Die Gewerkschaft (IG BCE) will nach Ostern über die Tarifforderung befinden. Diesmal solle der Fokus allein auf den Lohnprozenten liegen, kündigt Verhandlungsführer Peter Hausmann an. Steigende Einkommen seien die klare Erwartung der Arbeitnehmer.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) will in der Tarifrunde 2016 Lohnsteigerungen zwischen 4,5 und 5,5 Prozent erkämpfen. Die NGG vertritt die Interessen von rund 550 000 Beschäftigten in der Lebensmittelindustrie und im Lebensmittelhandwerk sowie 1,7 Millionen Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe.

Wichtige Tarifrunden stehen auch bei der Telekom ab Januar, in der Druckindustrie, im Bankgewerbe, in der Papierindustrie und bei der Deutschen Bahn an. Spannung verspricht nach dem Abgasskandal der Konfliktverlauf bei Volkswagen.