Tarzan gibt es schon viel länger als in den Hollywood-Verfilmungen. Die Figur wird heuer hundert Jahre alt.

Stuttgart - Auch moderne Zoos machen manche Besucher traurig. Sie werden dann vom Gedanken erfasst, die Wildtiere seien hier zu einem ganz und gar unnatürlichen Leben verdammt. In den Zoos von einst, die etwa Raubkatzen in winzigen Zellen hielten – Rainer Maria Rilke hat darüber sein bekanntestes Gedicht geschrieben –, konnte einen der Gedanke des Ungehörigen noch viel wuchtiger ergreifen. Wie in Rilkes „Panther“ kann dann der Gedanke vom Tier zur eigenen Existenz springen: Leben wir so, wie es die Natur für uns vorgesehen hat?

 

Es ist nicht überliefert, ob der Amerikaner Edgar Rice Burroughs, der im Chicagoer Großstadtsommer vor hundert Jahren den Dschungelhelden Tarzan erfunden hat, in Zoos gelitten hat. Aber es ist hinreichend dokumentiert, dass Burroughs sich selbst als gefangenes Wildtier empfand und dass er mit Tarzan, dessen Abenteuer der Schweizer Verlag Walde und Graf nun mit drei Romanen wieder populär machen möchte, dem Regulationseifer der Zivilisation eine darwinistische Fantasie entgegenbrüllte: Gebt uns den Kampf zurück!

Burroughs, am 1. September 1875 geboren, entstammte einer auf Erfolg programmierten Familie. Der Großvater war Offizier im Bürgerkrieg gewesen und im Frieden mit Schnapsdistillen wohlhabend geworden. Auch Burroughs sollte Kavallerieoffizier werden, scheiterte aber an dieser wie an allen anderen Erwartungen. Ewig umtriebig, war er auch ewig erfolglos, ein Mann mit einem Händchen für Fehlinvestitionen und verpasste Gelegenheiten.

Keine milden Aussteigerfantasien

Als Burroughs mit 36 Jahren zu schreiben anfing, war das zunächst nur die letzte Alternative zum Strick, mit dem sich Glücklose in einer Gewinnerkultur an den Dachbalken hängen. Das seltsame Zeug, für das Magazine Geld bezahlten, soll er sich gesagt haben, werde auch er noch zusammenbringen. So erfand er zunächst John Carter, der Abenteuer auf dem Mars erlebt, bald aber Tarzan, seine Verdichtung der Sehnsucht nach dem Einfachen, Klaren und Überschaubaren.

Tarzan ist eigentlich Lord Greystoke, ein Kind aus dem englischen Adel, geboren im Dschungel, aufgezogen von einer Riesenäffin, nachdem Greystokes Eltern den Gefahren der Wildnis erlegen sind. Tarzan begreift sich als Tier, er meistert den Überlebenskampf, er verinnerlicht das Prinzip: Der Stärkere hat recht.

Burroughs Texte sind keine milden Aussteigerfantasien. Es sind wilde Abenteuervisionen, in denen der Kampf die höchste Form des Daseinsgenusses bietet. Burroughs, der Afrika bis zu seinem Tode 1950 nie selbst erleben wollte, war auch Rassist. Tarzan ist der Gegenentwurf zu den Schwarzen Afrikas, die Burroughs oft als böse und verkommen darstellt. Mittlerweile sind die Texte um verräterische Passagen bereinigt worden.

Die militante Variante des Traums von der Rückkehr an den Busen der Natur wurde ein gigantischer Erfolg. Magazingeschichten, Romane, Comics, Hörspiele, Kinofilme, später Fernsehserien gab es, Schnickschnack und Spielzeug aller Art sowie willige Werbepartner, die ihr Bier oder ihr Benzin mit Tarzan-Flair versahen.

Wer Tarzan nur als Zitat des Zitats kennt, hat es leicht, über die Figur zu grinsen. Wer aber Burroughs liest, wird eine gegen Spott gefeite Urgewalt finden, ein Aufbegehren gegen die Zivilisation, das einen auch heute noch trotz aller knarzenden Plotmechanik ergreift und das einen befremdet: Steckt das in uns, fragt man sich, während sich irrationale Sympathie für diesen Herrn des Dschungels regt.

Edgar Rice Burroughs: Tarzan. Walde undGraf Verlag, Zürich. Drei Romane im Schuber. Mit einem Nachwort von Georg Seeßlen. 500 Seiten. 26,95 Euro.