Taschendiebe greifen derzeit bei Bahnreisenden besonders oft zu. Vor allem im Bereich des Stuttgarter Hauptbahnhofs registriert die Bundespolizei wieder eine Häufung der Fälle. Immerhin gibt es durch spezielle Fahnder auch Ermittlungserfolge.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Für Bahnreisende in der Region Stuttgart hat der Mittwoch mit mehr Polizeipräsenz begonnen – allerdings ging es diesmal nicht um Terror, sondern um Taschendiebe. Denn die sind besonders in diesen Tagen äußerst aktiv. Die Beamten der Bundespolizei warnten am Mittwochmorgen an den S-Bahn-Stationen in und um Stuttgart an Infoständen und mit Flugblättern vor den Langfingern. Gerade jetzt in der anstehenden Ferienzeit sind Taschendiebe besonders aktiv.

 

Nicht alle Langfinger entkommen unerkannt: Wie die Bundespolizei am Mittwoch mitteilte, konnte am Vortag gegen 11.15 Uhr ein Verdächtiger am Stuttgarter Hauptbahnhof dingfest gemacht werden, nachdem er an Gleis 10 den Rucksack eines Reisenden im Wert von 300 Euro an sich gebracht hatte. Dank guter Personenbeschreibung und Videoauswertung konnte der Tatverdächtige, der seine Beute auf der Flucht weggeworfen hatte, bei der Fahndung dingfest gemacht werden. Dabei handelte es sich um einen 23-jährigen Nordafrikaner. Der Beschuldigte wurde nach der Anzeigenaufnahme wieder auf freien Fuß gesetzt. „Es ist auffällig, dass vor allem Verdächtige aus dem Herkunftsbereich Maghreb bei Taschendiebstählen auftreten“, sagt Bundespolizei-Sprecher Jonas Große.

Taubstumme Frau als Opfer

So nahmen Taschendiebstahlsfahnder der Bundespolizei am vergangenen Samstag gegen 6 Uhr am Hauptbahnhof zwei mutmaßliche Taschendiebe ebenfalls nordafrikanischer Herkunft fest. Die 25 und 29 Jahre alten Männer sollen kurz zuvor beim Halt eines ICE einer taubstummen Frau den Rucksack gestohlen haben. Die 57-jährige Geschädigte hatte den Diebstahl erst später bemerkt und in einer Polizeidienststelle in Wernigerode am Wochenende Anzeige erstattet. Was sie nicht wusste: Die Fahnder der Bundespolizei hatten das Duo längst im Visier und bereits im Stuttgarter Hauptbahnhof festgenommen. Die Beschuldigten wurden am Sonntag einem Richter vorgeführt, der die beiden Beschuldigten in Untersuchungshaft schickte.

Überhaupt trieben mehrere Taschendiebe in den vergangenen Tagen im Stuttgarter Hauptbahnhof ihr Unwesen. So fingerten Unbekannte aus dem Rucksack einer 51-Jährigen den Geldbeutel und einen Autoschlüssel. Einem auf der Wartebank schlafenden 19-Jährigen wurde an der S-Bahn-Haltestelle zuerst das Handy und anschließend der Geldbeutel gestohlen. Eine Kameraauswertung ergab, dass es sich um verschiedene Täter handelt, die unabhängig voneinander vorgingen.

In einem IC-Zug entwendeten Taschendiebe aus der Jacke eines 76-Jährigen eine Geldbörse mit 250 Euro. Einem 44-Jährigen kam im Warteraum der Rucksack samt Inhalt abhanden. Außerdem wurde einer 40-jährigen Frau in einem Schnellrestaurant von Unbekannten ebenfalls der Rucksack entwendet. Sie hatte dort auf ihren Ehemann gewartet und war laut eigener Aussage für einen Moment unachtsam gewesen.

Schwerpunktaktionen zeigen erste Erfolge

Seit 2015 herrscht Alarmstimmung in Sachen Taschendiebe. In der Landeshauptstadt hatte es im letzten Jahr so viele Fälle wie noch nie gegeben. 2370 Anzeigen war ein trauriges Rekordhoch.

In Deutschland wurden laut Polizeilicher Kriminalstatistik insgesamt 168 142 Taschendiebstähle angezeigt, 2014 waren es noch 157 069 Fälle. Mit diesem Anstieg von sieben Prozent und einem Schaden von rund 51 Millionen Euro erreichten die Zahlen ein sehr hohes Niveau.

Der Einsatz von speziellen Taschendiebstahlsfahndern an den Bahnhöfen und S-Bahn-Stationen scheint nun aber zu wirken. „Mit der starken Polizeipräsenz seit Jahresbeginn konnten wir einen deutlichen Rückgang der Taschendiebstähle erreichen“, sagt Bundespolizei-Sprecher Große. Bis Mitte Juli habe es im Bereich Stuttgarter Hauptbahnhof 52 Anzeigen gegeben. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2015 waren es 212 Fälle. An der S-Bahn-Station Stadtmitte wurden bisher 13 Delikte registriert. Im vergangenen Jahr waren es 79 Fälle.

Hauptbahnhof bleibt ein Brennpunkt

Ähnlich sieht es die Stuttgarter Polizei, die ebenfalls eine Sondertruppe von Anti-Langfinger-Experten in den Einsatz schickt. „Wir registrieren bisher in diesem Jahr einen rückläufigen Trend“, sagt Polizeisprecher Jens Lauer, „allerdings bewegt sich das immer noch auf einem sehr hohen Niveau.“

Die Bundespolizei hofft jedenfalls, dass der Trend nun nicht durch die jüngsten Fälle und die Ferienzeit nicht wieder umgekehrt wird. „Der Hauptbahnhof bleibt ein Brennpunkt“, sagt Jonas Große. Vor dem Hintergrund, dass Taschendiebstähle vor allem im Gedränge, an Bahnhöfen und Flughäfen geschehen, sollten Urlauber besonders achtsam sein.

Was tun gegen die Langfinger?

Die Täter lieben die Enge und große Menschenansammlungen, beobachten ihre Opfer lange und genau, suchen dann die körperliche Nähe und werden dabei oft auch unangenehm aufdringlich.

Die Ablenkung gehört zum Handwerkszeug der Langfinger, die meist in Gruppen arbeiten. Mit fadenscheinigen Fragen versuchen sie das Opfer in ein Gespräch zu verwickeln, bitten um den Tausch von Münzgeld, geben sich als taubstumme Spendensammler aus. Besonders drastisch ist die Methode, das Opfer mit Senf oder anderem zu beschmieren und dann mit übersteigerter Hilfsbereitschaft den Körperkontakt zu suchen.

Die Tatorte sind Großveranstaltungen, volle Fußgängerzonen, Kaufhäuser und Geschäfte, Haltestellen, an den viele Fahrgäste ein- und aussteigen, Rolltreppen.

Der Selbstschutz kann nur in der Vorbeugung bestehen. Bargeld und Zahlungskarten sollten am Körper verteilt mitgenommen werden, möglichst in Gürteltaschen oder Brustbeuteln. Vordere Hosentaschen sind immer noch besser als der Geldbeutel in der Gesäßtasche. Viele Frauen sind immer noch leichtsinnig unterwegs, weil sie ihre Hand- oder Umhängetaschen nicht mit der Verschlussseite zum Körper tragen. Oder die Geldbörse in der Außentasche des Rucksacks transportieren. Generell gilt, nur das Notwendigste an Bargeld mit sich zu führen.

Der Urlaub wird noch sicherer, wenn Bargeld möglichst nur in Geldinstituten und nicht auf der Straße getauscht wird, wenn Wertsachen und Papiere nicht im geparkten Auto zurückgelassen werden. Die Polizei empfiehlt zudem Kopien von Ausweisen getrennt vom Original aufzubewahren.

Die Zahlungskarte sollte nach dem Diebstahl sofort gesperrt werden. Viele Anbieter nutzen für EC- und Kreditkarten den Sperrnotruf + 49 116 116.