Wenn sich Drehbuchautoren an die Aufarbeitung echter Kriminalfälle wagen, dann geht das schnell nach hinten los. Nicht so beim neuen Kieler Tatort „Borowski und der freie Fall“. Er ist ein wahres Fernseh-Festessen, besonders für Verschwörungstheoretiker.

Stuttgart - Wenn sich Drehbuchautoren an die Aufarbeitung echter Kriminalfälle wagen geht das schnell mal nach hinten los. Dann wird wild drauflos spekuliert, werden die Hintergründe des Falles entweder zu flach oder zu überdreht in Szene gesetzt oder über all diesem Tamtam die eigentliche Krimihandlung vernachlässigt. Wie schön, dass es auch anders geht – der neue Kieler Tatort „Borowski und der freie Fall“ (Sonntag, 14. Oktober 2012, um 20.15 Uhr in der ARD und der Mediathek) ist dafür der beste Beweis.

 

Zunächst beginnt alles ganz harmlos. Im Kieler Hafen wird auf einer Yacht die Leiche des Unternehmers und Buchautors Dirk Sauerland gefunden. Was nach einem klassischen Selbstmord mittels Gasherd aussieht entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als heimtückischer Mord.

Bei ihren Ermittlungen stoßen Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) auf den Minister Karl Martin von Treunau (Thomas Heinze), der offenbar ein engeres Verhältnis zum Opfer hatte als er zugibt und kurz nach dem Mord in dessen Haus auftaucht – angeblich um die Katze zu füttern. Borowski glaubt ihm kein Wort. „Politiker würden die besten Mörder abgeben. Sie haben ein dickes Fell, wenig Kontakt zu ihren Gefühlen und einen vertrauten Umgang mit der Unwahrheit“, sagt er.

Verschwörungstheoretiker kommen auf ihre Kosten

Und dann sind da noch Hinweise auf ein neues, streng geheimes Buchprojekt, an dem Sauerland offenbar gearbeitet hat. Die beiden Beamten finden heraus, dass der Tote erst vor kurzem nach Genf gereist ist und dort offenbar bedroht wurde. Als der Name Uwe Barschel fällt, werden die Beamten hellhörig. Und dann mischt sich plötzlich auch noch der BND in die Ermittlungen ein. Steckt hinter dem Fall etwa mehr, als es zunächst den Anschein hatte?

Geheimagenten, skurrile Informanten und eines der größten Rätsel der jüngeren deutschen Geschichte – „Borowski und der freie Fall“ ist nach einer längeren Durststrecke mal wieder ein rundum gelungener Tatort. Er ist spannend und herrlich verwickelt, von Regisseur Eoin Moore sehr gut umgesetzt und trumpft mit Szenen auf, die an den Originalschauplätzen der Barschel-Affäre gedreht wurden. Kurzum: Ein wahres Fernseh-Festessen – nicht nur für Verschwörungstheoretiker.

Schönste Krimifloskel: „Erzählen Sie mir mal, wo Sie gestern waren“, sagt Borowski zu Ulla Jahn (Marie-Lou Sellem), der Exfrau des Toten.

Heimliche Stilikone: Ganz eindeutig Sarah Brandts hochhackige rote Schuhe, die sie trägt, als sie mitten in der Nacht zum Tatort gerufen wird. Und Borowskis herrlicher Kommentar dazu: „Sie waren schon im Bett?“

Gefühlter Moment, in dem der Fall gelöst ist: Bis mindestens zehn Minuten vor Schluss hat man eigentlich keine wirkliche Ahnung, was Täter oder Motiv angeht.