Der Fall ist klar, doch die Beweise fehlen: Im Leipziger Tatort „Todesschütze“ haben es die Ermittler Keppler und Saalfeld mit Brutalität, falscher Freundschaft und Selbstjustiz zu tun.

Stuttgart - Um einen Vertrauten zu schützen, würden viele Menschen ein Geheimnis bewahren. Bringt man sich damit allerdings selbst in Gefahr, wandert man auf einem schmalen Grat zwischen freundschaftlicher Loyalität und Selbstschutz – und muss schließlich eines für das andere aufgeben. Gemäß dieses Leitmotivs entwickelt der neue Tatort „Todesschütze“ (Sonntag, 2. Dezember, 20.15 Uhr in der ARD und der ARD-Mediathek) ein Geflecht aus Interdependenzen, dem nicht nur Freundschaften, sondern auch Menschenleben zum Opfer fallen.

 

Der Fall ist klar, doch die Beweislage fehlt

Zunächst ist die Sachlage offensichtlich. Das Lehrer-Ehepaar Anne (Natascha Paulick) und René Winkler (Stefan Kurt) schreitet ein, als drei Jugendliche des Nachts in einer Straßenbahn wahllos Reisende belästigen. Nach einem kurzen Wortgefecht folgen die Jungs dem Ehepaar unbemerkt aus der Straßenbahn und prügeln es anschließend brutal nieder. Zufällig bemerken die Polizisten Rahn (Wotan Wilke Möhring) und Maurer (Rainer Piwek) die Tat und werden sofort aktiv. Im anschließenden Bericht geben beide jedoch an, die Täter trotz ihres schnellen Eingreifens weder gefasst, noch erkannt zu haben.

Die Kommissare Eva Saalfeld und Andreas Keppler sind skeptisch – bis sie herausfinden, dass einer der Schläger Rahns Sohn Tobias ist. Für sie steht fest: Der Polizist will seinen Sohn decken. Doch auch die Jugendlichen haben sich gut untereinander abgesprochen und so ist es lange unmöglich, die Tat zu beweisen. Während die Ermittlungen sich hinziehen, verschärft sich die Situation: Der niedergeprügelte Lehrer René Winkler schreckt vor nichts zurück, um Aufklärung zu erlangen. Rahn wird zerrissen zwischen seiner Rolle als Vater und der als Polizist und sowohl die Täter als auch der Kollege Maurer schweigen weiter. Als auch noch ein Sensationsreporter den ganzen Fall öffentlich macht, entlädt sich der entstandene Druck in grenzenloser Brutalität.

Ein zweiter Mord eröffnet das Rätselraten

Da der Tatbestand zunächst etwa eine Stunde lang klar ist, wird hier der Blick auf die Motive der einzelnen Handelnden gelenkt. Erst ein zweiter Mord eröffnet das Rätselraten um den möglichen Täter. Verdächtige gibt es reichlich und die Kommissare gehen konsequent jeder Spur nach – wenn auch der tatsächlich Schuldige relativ schnell feststeht und somit keine große Überraschung mehr bietet. Doch die Frage nach dem Täter ist in diesem Tatort auch nicht die entscheidende. Viel mehr wartet man auf den Moment, in dem einer der Beteiligten sein Schweigen bricht und den Fall aufklärt.

Die Erzählung kommt gut ohne parallele Handlungsstränge aus, da alle Konflikte in direkter Verbindung zum Fall stehen. In ihm verschmelzen Brutalität und Gewalt, falsche Freundschaft und Loyalität, Krankheit, Verlust und Selbstjustiz. Jedoch verlieren die gezeichneten Charaktere durch diese Struktur an Tiefe. So ist Rahn meist nur darum bemüht, seine Reputation als Polizist aufrecht zu erhalten – dass ihm dabei seine Familie entgleitet, scheint ihn vergleichsweise wenig zu berühren. Einzig Kommissar Keppler, ein Mann vor dessen strengen Blick und zynischen Humor die Verdächtigen schnell zu zittern beginnen, überzeugt vor allem in der Beziehung zu Kollegin Saalfeld durch überraschende Vielschichtigkeit.

Schönste Krimifloskel: „Was wollen Sie?“, fragt der Verdächtige Robin den Kommissar, der vor seiner Haustür steht. Kepplers Antwort: „Paar Fragen stellen, ist mein Beruf“.

Heimliche Stilikone: In einer Sequenz nimmt Keppler betont lässig die teure Sonnenbrille ab – und erinnert damit stark an die berühmte und oft parodierte Geste des Horatio Caine von CSI Miami.

Gefühlter Moment, in dem der Fall gelöst ist: Der anfängliche Überfall ist von Vornhinein klar, auch wenn sowohl die Täter als auch die Polizisten sich mit der Aufklärung Zeit lassen. Beim zweiten Mord jedoch haben mehrere Akteure ein starkes Motiv.