Wer bin ich?“ muss sich der Hauptdarsteller im Weihnachts-„Tatort“ des HR fragen. Der Kunst-Krimi nimmt das Genre gekonnt auf die Schippe.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Kann man noch einen draufsetzen beim Kunst-„Tatort“ des Hessischen Rundfunks mit Ulrich Tukur als LKA-Kommissar Felix Murot? Nach der Groteske „Das Dorf“ und der vielfach preisgekrönten Western-Shakespeare-Oper „Im Schmerz geboren“ war man versucht zu sagen: wohl kaum. Irrtum. Mit „Wer bin ich?“ schlägt der Autor und Regisseur Bastian Günther eine noch überraschendere, aberwitzige Volte. Der Regisseur von „Houston“, einem ästhetisch durchkomponierten Filmkunstwerk mit Ulrich Tukur als ausgemustertem Headhunter, lässt ebendiesen Ulrich Tukur als Felix-Murot-Darsteller bei den Dreharbeiten zu einem „Tatort“ selbst ins Zentrum von polizeilichen Ermittlungen geraten. Er wird verdächtigt, etwas mit dem Tod eines jungen Filmassistenten zu tun zu haben: Ulrich Tukur spielt Ulrich Tukur spielt Ulrich Tukur.

 

Herrlich schräge Karikaturen ihrer TV-Figuren

Bastian Günther nutzt diese Film-im-Film-Konstruktion perfide aus, um sich nicht nur über das Sonntagskrimi-Genre und die Eitelkeiten seiner Protagonisten, sondern über das gesamte Filmbusiness lustig zu machen. Dazu holt er die Frankfurter „Tatort“-Kollegen Wolfgang Koch und Margarita Broich in den Plot und lässt sie jeweils hinter dem Rücken des jeweils anderen gegeneinander sticheln. Köstlich: Wolfgang Koch als Paul-Brix-Darsteller, der die Loyalität zum gebeutelten Kollegen Tukur nur heuchelt und sich derweil auf Senderkosten im Hotel vergnügt. Zum Brüllen komisch ist vor allem, wie Martin Wuttke in einer Nebenrolle sich selbst parodiert: als halbseidener Kollege, der nach dem Rauswurf beim Leipziger „Tatort“ finanziell klamm ist und Tukur deshalb um Geld anbettelt, da er zu Recht mutmaßt, dass der den verschwundenen Casinogewinn des Toten eingesackt hat.

Die ermittelnden Kommissare wiederum sind herrlich schräge Karikaturen ihrer TV-Figuren: farblose, schlecht angezogene Bürohengste, die über die „Filmfuzzis“ und deren Inkompetenz in Sachen Polizeiarbeit spotten. Wie Günther hier ironisch-selbstreflexiv die Filmillusion zerstört, das ist ein großer Krimispaß. Dass dabei keine Musik zum Einsatz kommt und über allem der fahle Schleier der vermeintlichen Realität liegt, ist ästhetisch-formal nur stimmig.

Dem komödiantischen Slapstick steht die Tragik der Figur Ulrich Tukur gegenüber – einem Schauspieler-Star, dem man nun dabei zusehen kann, wie er immer mehr den Boden unter den Füßen verliert. Angesicht des Mordverdachts muss er um seine Existenz bangen, sich anhören, wie ihn sein Regisseur, gespielt vom Regisseur Justus von Dohnányi, flugs aus seiner Rolle hinausfantasiert. Er gerät zunehmend ins Abseits und kämpft wie eine Hitchcock-Figur vergeblich dagegen an, der Verschwörung gegen ihn zu entrinnen. Tukur geht dabei das Augenzwinkernde, das Ironisch-Distanzierte, das sonst sein Spiel prägt, völlig ab – eine ungewohnte Facette des Charakterdarstellers.

Unterhöhlte Metaebene

Am Schluss gelingt es Günther, selbst die Metaebene der Selbstbespiegelung noch einmal zu unterhöhlen: Da setzt sich Tukurs „Tatort“-Ego Felix Murot zu ihm an den Tisch und verkündet, dass er die Nase voll hat vom Schattendasein als TV-Figur: „Ich bin nur eine Idee, ich existiere doch nur, wenn die Kamera läuft, davor und danach nichts, Luft.“

Dass die ARD diesen Kunst-Krimi, ausgerechnet an Weihnachten zeigt, ist Kalkül; sie setzt damit die mit den Weimarer Episoden „Die fette Hoppe“ und „Der irre Iwan“ mit Christian Ulmen und Nora Tschirner begonnene junge „Tatort“-Tradition fort, das Festtags-Programm mit Event-Krimikomödien aufzupeppen. Gefallen dürfte das nur einem Teil der Zuschauer. Egal aber, wie die Quote ausgefallen ist: als Genre-Statement wird „Wer bin ich?“ „Tatort“-Geschichte schreiben.