Am Sonntagabend ist Richy Müller wieder als Thorsten Lannert im Stuttgarter „Tatort“ zu sehen. Im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung erzählt er, warum er als Kommissar unbedingt Porsche fahren will.

Stuttgart - - Seit 2008 spielt Richy Müller den Kommissar Thorsten Lannert im Stuttgarter „Tatort“. Als der SWR ihm die Rolle anbot, musste er nicht lange überlegen. Er, der sonst gern wählerisch bei seiner Rollenwahl ist, griff zu, weil die Figur seinen Vorstellung entspricht. Weil Lannert gern Polizist ist zum Beispiel. Er übernimmt aber auch immer wieder mal kleinere Rollen, die können für ihn richtige Leckerbissen sein.
Herr Müller, Ihnen ist etwas gelungen, wovon die meisten Schauspieler träumen: Sie sind 1979 als proletarischer Jugendlicher mit dem TV-Dreiteiler „Die große Flatter“ über Nacht berühmt geworden. Kann so etwas auch ein Fluch sein?
Für mich schon, denn fortan wurden mir nur noch solche Rollen angeboten. Ich wusste aber, dass keine mehr so gut sein würde. Ich war Mitte zwanzig und steckte in einem Zwiespalt: Einerseits wollte ich meinen Beruf ausüben und musste Geld verdienen; andererseits wollte ich nicht in Filmen mitspielen, die mich nicht weiterbringen. Es hat mich 15 Jahre Kampf gekostet, aus dem Rollenklischee rauszukommen.
Wieso war das denn so schwer?
Anfang der achtziger Jahre war es modern, Laiendarsteller zu besetzen, und in dieses Fahrwasser bin ich auch geraten. Ich habe die Ausbildung zum Schauspieler zwar vorzeitig abgebrochen, aber ich war gewiss kein Laie.
Warum hat man das denn überhaupt vermutet?
Weil ich so authentisch wirkte. Da hat jeder gedacht: „Der spielt das gar nicht, der ist so.“ Produzenten oder Regisseure konnten sich nicht vorstellen, dass ich auch ganz andere Figuren verkörpern könnte. Es gibt berühmte Kollegen, die im Grunde immer sich selbst spielen, und andere wie Sean Penn oder viele Jahre lang Robert De Niro, die sich wandeln können wie ein Chamäleon. Es war immer mein Ziel, in die Haut anderer Menschen zu schlüpfen. Die Figuren sind wichtig, nicht die Darsteller. Das größte Kompliment hat mir ein guter Freund gemacht, der mich schon lange kennt und mir nach einem Film mal gesagt hat, er habe nach fünf Minuten vergessen, dass ich das bin, der diese Rolle spielt.
Heute gelten Sie als ausgesprochen vielfältiger Schauspieler. Was hat den Imagewandel ausgelöst?
Das war 1994 Rainer Kaufmanns Film „Einer meiner ältesten Freunde“.
Haben Sie in der Zwischenzeit nie an Ihrem Beruf gezweifelt?
Ich musste vor allem zusehen, wie ich über die Runden kam. Aber diese Zeit war eine Erfahrung, die mich sehr gestärkt hat. Im Rückblick weiß ich, wie richtig es war, meinem Vorsatz treu zu bleiben, mich nicht an eine Rolle zu verkaufen. Lieber Miese auf dem Konto als auf der Seele.
Das klingt sehr radikal. Muss man als Schauspieler mutig sein?
Ich finde schon. Man muss zum Beispiel Dinge tun, die man im Privatleben verabscheuen würde. Aber auch das ist für mich eine Frage des Prinzips. Wenn ich mich für eine Arbeit entschieden habe, lasse ich mich bedingungslos darauf ein. Wenn ich eine Figur konsequent verkörpern will, muss ich meine eigene Persönlichkeit ausblenden.
Woher schöpfen Sie die Emotionen, die Sie spielen sollen?
Aus der Situation. Ich versuche in solchen Momenten, die Gefühle dieser Figur zu empfinden. Deshalb bin ich auch kein Freund des „Method Actings“. Da lernt man als Schauspieler, sich in einem traurigen Moment an eine ähnliche Situation zu erinnern, die man mal erlebt hat. Davon halte ich gar nichts.
Was ist falsch an dieser Methode?
Ganz einfach: Muss ich mir zum Beispiel den viele Jahre zurückliegenden Tod meiner Mutter vor Augen halten, damit mir die Tränen kommen, bin ich doch gedanklich überhaupt nicht mehr in der Szene, die ich gerade spiele. Wenn mich die Situation als solche nicht zu Tränen rührt, sind Tränen fehl am Platz.
Was muss man tun, um Sie für ein Filmprojekt zu gewinnen?
Man muss mir vor allem vermitteln, dass man wirklich mich für die Rolle will. Und natürlich muss die Geschichte etwas in mir auslösen.
Wie war das damals 2008, als der SWR Sie als „Tatort“-Kommissar wollte? Brauchten Sie Bedenkzeit?
Nein, überhaupt nicht, zumal unsere Vorstellungen der Rolle übereinstimmten. Mir war wichtig, dass Thorsten Lannert gern Polizist ist und nicht an seinem Beruf krankt. Er sollte unbestechlich sein, aber auch das Herz haben, mal ein Auge zuzudrücken.
Wer hatte die Idee mit dem Porsche?
Die war von mir. Lannert ist agil und schnell im Kopf, also fährt er Porsche. Ich fand es auch wichtig, dass die Figur ein Markenzeichen bekommt, so wie Hansjörg Felmy als Kommissar Haferkamp seine Buletten und Schimanski seine berühmte Jacke hatte. Und weil das Auto ein älteres Modell ist, hat es auch nichts Angeberisches.
Täuscht der Eindruck, oder spielen Sie keine Schurken mehr, seit Sie die Rolle im „Tatort“ übernommen haben?
Ich habe auch schon vorher nur selten echte Schurken gespielt, vielleicht in einem Viertel meiner Filme. Aber viele Menschen haben offenbar eine andere Wahrnehmung.
Woran liegt das?
Schurkenrollen sind meistens interessanter. Es ist allerdings gar nicht so leicht, beispielsweise einen Proleten glaubwürdig zu verkörpern. Als Zuschauer spürt man ja schnell, ob so eine Rolle Substanz hat oder ob sie nur oberflächlich gespielt ist. Wenn ein Bösewicht also auch noch überzeugend ist, bleibt er meistens gut in Erinnerung.
Sie haben allein in den letzten zehn Jahren in rund fünfzig Filmen mitgewirkt, weil Sie auch eher kleinere Rollen übernommen haben. Was reizt Sie daran?
Wichtige Nebenrollen sind oft ein Leckerbissen. Man hat die Chance, sich aus Sicht des Zuschauers den Status einer Hauptfigur zu erarbeiten, obwohl man bloß wenige Szenen hat. Ich mache das aber nur, wenn eine Figur einen eigenen Kosmos mitbringt. Wenn sie bloß als Hintergrund für die Hauptrolle dient, interessiert mich das nicht.
Es ist kein Geheimnis, dass Sie gelernter Werkzeugmacher sind. Auf den ersten Blick liegen Welten zwischen diesem Beruf und der Schauspielerei. Gibt es trotzdem Parallelen?
Als Werkzeugmacher habe ich gelernt, was Arbeit ist, ich war Malocher, und diese Erfahrung macht sich in der Schauspielerei durchaus bezahlt. Außerdem lernt man als Werkzeugmacher, wie wichtig Präzision und Disziplin sind. Und man muss improvisieren können. In meiner Jugend war ich übrigens acht Jahre lang Leistungsturner, das kam mir später im Beruf auch sehr zugute.