Stefan Marquart arbeitet als Tatortreiniger. Mit Blutlachen, Leichenflüssigkeit und Geweberesten kann er ohne Ekel umgehen.  

Böblingen - Wenn ein Mensch stirbt, bleibt dann etwas von ihm am Ort seines Todes zurück? Ein Schatten, ein Echo seines Lebens? Zumindest in der Böblinger Wohnung, in der Stefan Marquart an diesem eiskalten Wintermorgen in seinen weißen, knisternden Schutzanzug steigt, ist das nicht der Fall. Eine Frau sei hier gestorben, sagt der 32-Jährige, ihre Leiche habe man längere Zeit nicht gefunden. Deshalb ist Marquart hier, setzt seine Atemschutzmaske auf, zieht grüne Gummihandschuhe an und nimmt das Drucksprühgerät in die Hand.

 

Der 32-Jährige aus Herrenberg-Kayh ist Tatortreiniger. Wobei, so ganz korrekt sei dieser Titel nicht, sagt er. „Bei den wenigstens Fällen handelt es sich um Mord.“ Er werde auch gerufen, wenn jemand sich das Leben genommen habe und Spuren davon in der Wohnung zurückgeblieben seien oder wenn ein toter Körper länger nicht gefunden worden sei. Da reichten, je nach Umgebung und Witterung, schon wenige Tage, bis Leichenflüssigkeit austrete oder sich Ungeziefer einfinde. Vom Geruch einmal ganz zu schweigen.

Tatortreiniger als Traumberuf

An einem Einsatzort vernebelt Marquart zunächst den Raum, damit die Kontamination nicht mehr so stark ist und er dort besser arbeiten kann. Dann entfernt er Blut, Gewebereste und Fäkalien, reißt wenn nötig den Fußboden heraus und die Tapete von der Wand, desinfiziert die Oberflächen von Gegenständen, die erhalten werden sollen, und reinigt dann erneut die Raumluft.

Wieso entscheidet sich jemand dafür, nach dem Tod eines Menschen dessen Überreste zu beseitigen? „Da ist schon eine Sensationsgeilheit dabei – an Orte zu kommen, die nicht jeder betreten darf“, gibt Marquart, der seinen Job als Traumberuf bezeichnet, unumwunden zu. Aber auch einen Ort des Schreckens wieder in seinen Ursprungszustand zu versetzen, erfüllt ihn mit Befriedigung.

Kampfspuren, Blutflecken, Madenlarven

2016 hat der Zimmermann die auf Tatort- und Leichenfundortreinigung spezialisierte Firma RVL Süd mit Sitz in Herrenberg-Kayh gegründet, außerdem gehört ihm das Entrümpelungs- und Abbruchunternehmen „Mischdkäfer“. Auf die Idee, als Tatortreiniger zu arbeiten, habe ihn eine Fernsehdokumentation gebracht, sagt Marquart. Am nächsten Tag sei er als Abbruchunternehmer zu einem Tatort gerufen worden. „An der Tür klebte noch das Polizeisiegel.“ In der Wohnung: Kampfspuren, Blutflecken, Madenlarven. „Da musste ich erst mal meine Mutter anrufen. Trotzdem war mir klar: den Job will ich.“ Das Fachwissen etwa über Reinigungsmittel und die nötige Schutzkleidung eignete sich Marquart bei Fortbildungen, Schulungen und Praktika an. Mittlerweile pflegt er Kontakte zu Stadtverwaltungen und Bestattern, die ihm Aufträge vermitteln. Ein bis drei Einsätze hat er pro Woche.

In der Regel werde den Hinterbliebenen nämlich die Reinigung eines Leichenfundorts überlassen, sagt Jürgen Kohn, der erste Kriminalhauptkommissar, der beim Kriminalkommissariat Ludwigsburg für die Todesermittlungen zuständig ist und immer dann vor Ort ist, wenn der Arzt eine unklare oder unnatürliche Todesursache festgestellt hat. Wenn ein Betroffener sage, er könne oder wolle die Reinigung nicht selbst übernehmen, würden die Polizisten ihm Kontaktadressen entsprechender Firmen an die Hand geben oder die Betroffenen bitten, selbst im Internet zu recherchieren. Eine Empfehlung für eine spezielle Firma aussprechen dürfe die Polizei allerdings nicht.

Manche Schicksale gehen ihm nicht aus dem Kopf

Blutlachen, Leichenflüssigkeit, Gewebereste– damit kann Stefan Marquart ohne Ekel umgehen. Das beschert ihm auch keine Albträume. „Unter Freunden habe ich immer viele Geschichten zu erzählen“, sagt der Tatortreiniger. Bei sich selbst oder bei seinen Angehörigen kann er allerdings kein Blut sehen. Vielleicht liege das an der Beziehung, die er zu diesen Menschen habe, erklärt der 32-Jährige. Wenn er zu einem Einsatz in eine Wohnung gerufen wird, vermeidet er nämlich zunächst auch den Blick auf Fotos des Verstorbenen. Erst wenn „das Gröbste“ beseitigt sei, könne er ihn als Person wahrnehmen.

Ein Einsatz in einer Messi-Wohnung, der ist ihm allerdings einmal gehörig auf den Magen geschlagen. Die Toilette war schon seit längerem verstopft gewesen, trotzdem hatte sich der Bewohner dort weiterhin und später auch in der Badewanne erleichtert. Als er die Toilette aus der Wand gerissen habe, seien ihm die Fäkalien entgegen gekommen. „Um mich abzulenken, musste ich „Griechischer Wein“ singen“, sagt Stefan Marquart und grinst.

Doch es gibt auch Schicksale, die ihm nicht aus dem Kopf gehen. In einem seiner Fälle habe jemand Selbstmord begangen, während sich ein Angehöriger ahnungslos im Nebenraum befand. „So etwas bleibt schon hängen. Aber ich urteile nicht, bevor ich jemandem Unrecht tue“, sagt er. Der Umgang mit Hinterbliebenen fällt Marquart schwerer als die Reinigungsarbeit. Er bemühe sich bei solchen Gelegenheiten, immer sachlich zu bleiben. „Viele möchten mit mir über den Verstorbenen reden. Immerhin bin ich derjenige, der das letzte Bisschen von diesem Menschen mitnimmt“, sagt der 32-Jährige.

Wie die Polizei bei Leichenfunden vorgeht

Fundort: Wenn ein Mensch tot aufgefunden wird, nimmt ein Arzt eine Leichenschau vor. Bei einer unklaren oder nicht natürlichen Todesursache – dazu gehören Morde, aber auch Unfälle oder Suizide – wird die Polizei hinzugezogen. Rund 200 solcher Fälle gibt es im Kreis Böblingen pro Jahr, sagt Jürgen Kohn, der erste Kriminalhauptkommissar, der beim Kriminalkommissariat Ludwigsburg für die Todes-ermittlungen zuständig ist.

Ermittlungen: Die Polizei sucht vor Ort nach Hinweisen auf ein mögliches Verbrechen. „Steckt beispielsweise in der Wohnungstür, hinter der ein Toter gefunden wird, der Schlüssel von innen, ist eine Fremdeinwirkung nahezu ausgeschlossen“, sagt Kohn. Anders sehe es etwa bei durchwühlten Schränken aus. Bei Hinweisen auf ein Verbrechen rege die Polizei bei der Staatsanwaltschaft eine Obduktion an. Sollte offensichtlich kein Verbrechen vorliegen, müsse ein Bestatter die Leiche trotzdem so lange unter Verschluss halten, bis die Staatsanwaltschaft diese freigebe.