Anhänger der Shincheonji-Sekte und ihre Verwandten machen mehr als zwei Drittel aller mehr als 200 erfassten Fälle im Land aus. Hunderte sind untergetaucht. Ein Albtraum für Epidemiologen

Seoul - Wenn ein Virus im Land ausbricht, dann ist eine Gruppierung wie die südkoreanische Shincheonji-Sekte wohl der schiere Albtraum eines Epidemiologen: Dicht gedrängt sitzen die Anhänger bei ihren Gottesdiensten auf dem Boden, selbst bei Fiebersymptomen dürfen sie keine Gesichtsmasken tragen. Nach der Messe schließlich ziehen die Mitglieder des religiösen Kults auf die Straße um zu missionieren – und möglicherweise den Coronavirus zu verbreiten.

 

So hat es offenbar auch eine 61-jährige Südkoreanerin getan, die in den heimischen Medien nur als „Super-Verteiler“ bezeichnet wird: Mindestens 40 Menschen soll sie angesteckt haben. Nur durch Zufall ging sie am 7. Februar ins Krankenhaus, weil sie Opfer eines leichten Verkehrsunfalls geworden war. Nachdem sie auch Fieber bekommen hatte, wollten sie die Ärzte für einen Virustest in ein größeres Krankenhaus schicken, doch die Frau weigerte sich und ging stattdessen in ihrer Shincheonji-Gemeinde weiterhin zu Gottesdiensten mit mehr als tausend Teilnehmern.

Die Sektenanhänger und ihre Verwandten machen mehr als zwei Drittel aller 204 erfassten Fälle in Südkorea aus. Mehr als 400 weitere Gläubige gaben an, mögliche Symptome des Coronavirus zu zeigen. Noch alarmierender: Laut Regierungsstellen fehlt von 340 Shincheonji-Mitgliedern jede Spur, anscheinend sind sie untergetaucht. Laut dem Online-Medium „Newsis“ soll Shincheonji in Wuhan, dem Zentrum des Virus, 2019 eine Kirche eröffnet haben.

Die Sekte deutet Erkrankungen als Strafe für frühere Sünden

Der 88-jährige Südkoreaner Lee Man-hee gilt als Gründer des Kults, der unter anderem Erkrankungen als Bestrafungen Gottes für frühere Sünden predigt. Selbst nachdem der erste Fall unter den eigenen Reihen bekannt wurde, verschickte ein Anhänger eine verstörende Gruppennachricht: Man solle weiterhin in kleinen Gruppen missionieren gehen und vor den Behörden die Mitgliedschaft zur Sekte verheimlichen. „Der Virusausbruch ist das Werk des Teufels“, heißt es in der Botschaft.

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Das Land wurde 2015 von der von Coronaviren hervorgerufenen Mers-Epidemie getroffen. Mehr als 80 Menschen starben damals. Die Reaktion der südkoreanischen Behörden ist deshalb rigide. Kindergärten machen dicht, Bibliotheken und Altenheime. In Seoul, das bekannt ist für seine lebhafte Protestkultur, wurden sämtliche Demonstrationen verboten. In der Stadt Daegu, die am stärksten betroffen ist, hat die Verwaltung die Bewohner dazu angehalten, in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Noch vor wenigen Tagen gingen die Behörden davon aus, dass sie das Virus allmählich unter Kontrolle bekommen. Seither hat sich die Anzahl an Infizierten jedoch verdreifacht.

Das Nachbarland Nordkorea ergreift drastische Maßnahmen

Am Donnerstag folgte eine zweite Hiobsbotschaft: Ein Marineangehöriger auf der Insel Jeju ist infiziert – wahrscheinlich auch von der „Super-Verteilerin“ in Daegu, wo der junge Mann auf Familienbesuch war. Seither geht die Angst um, dass das Virus sich auch in den Militärbaracken weiter ausgebreitet haben könnte. Die Armee hat bekannt gegeben, vorerst keine Soldaten mehr aus der Stadt Daegu zu rekrutieren.

Das Nachbarland Nordkorea hingegen hat die mit Abstand drastischsten Maßnahmen ergriffen: Nicht nur ist die Landesgrenze zu China seit Wochen hermetisch abgeschlossen. Auch die Diplomaten und Botschaftsmitarbeiter im Land stehen derzeit alle unter Quarantäne. In der Donnerstagsausgabe warnt die Zeitung der nordkoreanischen Arbeiterpartei „Rodong Sinmun“, dass nur ein einziger Virusfall im Land „unvorstellbare Konsequenzen“ nach sich ziehen würde. Nordkorea hat eines der unterentwickeltsten Gesundheitssysteme der Welt, in den Krankenhäusern fehlt es oft an Grundlegendem wie Antibiotika.