Wer regelmäßig Taxi fährt, lernt, welch wichtige Aufgabe die stille Hilfstruppe der Taxifahrer in den Leben von Alten, Kindern und Kranken spielt.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart - Neulich hat Herr M. ganz selbstverständlich die Kleiderbürste aus dem Kofferraum seines Autos geholt. Dann hat er meine Beine gemustert und gefragt, ob er mal dürfe. Er hatte ein paar Hundehaare auf der schwarzen Hose entdeckt. Es war eine Geste der langsam gewachsenen Vertrautheit zwischen Herrn M. und mir. Mit der Selbstverständlichkeit eines Menschen, der besorgt ist um das Erscheinungsbild derer, die sich ihm anvertrauen, hat er das gefragt. Ich habe genickt, „klar“ gesagt – danach war die Hose fusselfrei. Dann hat er mir noch wie immer beim Aufsetzen des Rucksacks geholfen und die Krücken gereicht.

 

Gemeinsame Baustellenexkursionen

Vor zwei Monaten ist Herr M. in mein Leben getreten. Er ist Taxifahrer. Regelmäßig fährt er mich und mein lädiertes Knie dorthin, wo Menschen wieder das Laufen lernen. Wir erleben auf diesen Fahrten, wie viele Baustellen es gerade auf den Einfahrtsstraßen Stuttgarts gibt, und rätseln gemeinsam, wie lange es wohl noch dauern wird, bis wir nicht mehr umständliche Umleitungen fahren müssen und die Straße endlich wieder freigegeben wird. Eine Woche noch, so seine optimistische Prognose.

Immer fragt Herr M. „Wie geht’s“, wenn wir uns begrüßen, und sagt, wenn wir uns verschieden: „Gute Besserung!“ Manchmal ruft er an, ob er auch zehn Minuten früher kommen könne. Damit er alle Kundenwünsche unter einen Hut bringen könne. Herr M. ist für viele Menschen der Mobilitätsgarant in ihrem Leben. Das merkt, wer ihn und seine Kollegen dauerhaft braucht. Für manche sind die gern gescholtenen Taxifahrer der einzige Ansprechpartner in einem sehr einsamen Leben. Menschen wie Herr M. halten schwere Brandschutztüren in Tiefgaragentreppenhäusern auf. Sie tragen Einkäufe hoch. Oder sie fahren hochbetagte Seniorinnen, wenn sie sich mit einer Freundin zum Essen in der Stadt treffen wollen. Und holen sie dann auch wieder ab. Herr M. bringt Kinder, zu deren Schule kein Schulbus fährt, dorthin, wo es ein Spezialangebot für sie gibt. An allem nimmt er Anteil. Er lacht mit den Kindern, holt sie direkt an der Schule ab und bringt sie bis zur Wohnungstür. Ehrensache ist das für ihn. Als wir wegen einer Fliegerbombe in der Nachbarschaft evakuiert wurden, hat er angeboten, ich könne so lange zu seiner Schwägerin. Sie sei zu Hause. Er ist Sozialarbeiter, Altenhelfer und Retter in der Not in einer Person. In der Welt der Mobilen bleibt seine Rolle allerdings unbemerkt.

Die wahren Kosmopoliten

Neulich hat er mir von seinem Popcorn angeboten. Es war salzig wie das in seiner indischen Heimat. Letzte Woche habe ich seiner kleinen Nichte in Großbritannien vom Beifahrersitz aus zugewunken, mit deren Mutter er gerade per Videocall telefonierte. Herr M. weiß immer, wie spät es gerade in Kanada, Indien, den USA oder den Niederlanden ist. Seine Verwandtschaft ist über die ganze Welt verstreut. Wann er wo anrufen kann, hat er in seinem Smartphone gespeichert. Wahrscheinlich ist er mehr Kosmopolit als so manch anderer. Denn er hat wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen eine Geschichte, die begonnen hat, bevor sie Taxifahrer wurden. In einem anderen Land. Vielleicht lautet deshalb Herrn M.s Motto: Das schaffen wir. Trotz der vielen Baustellen.