Taylor Swift ist durch die „Eras“-Tour zur Milliardärin geworden. Foto: Sebastian Ruckaberle
Wie konnte es soweit kommen, dass man nun in der wie zu Teenie-Zeiten mit Postern dekorierten Wohnung Freundschaftsarmbänder bastelt und Hunderte Euros für ein Konzertticket zahlt? Ein Versuch, das Phänomen Taylor Swift zu verstehen.
Es braucht 45 Songs. Danach ist die Verwandlung zum Swiftie vollzogen. So wie bei dem Vater, der nur seine beiden neun- und fast-13-jährigen Töchter zum Konzert von Taylor Swift in der Gelsenkirchener Veltins-Arena begleiten wollte und nun in der Paillettenweste eskaliert. Oder der Freund, der vor einem Jahr noch widerwillig zugesagt hat, mit zum Konzert zu gehen und nun tagelang nach seinem ersten Konzert in Gelsenkirchen noch nach Tickets für die ausverkauften Konzerte in München sucht. „Dieses Konzert hat Gefühle bei mir ausgelöst, die ich bisher bei einem Konzert noch nie empfunden habe. Das waren dreieinhalb Stunden pures Glück“, sagt er berauscht.
Und man erwischt sich selbst, wie man nach diesen dreieinhalb Stunden Freundschaftsarmbänder bastelnd unter einem Swift-Poster auf dem Sofa sitzt und zu „...Ready for it?“ (Bereit dafür?) singt. Diese Verwandlung werden an diesem Mittwoch wieder tausende Fans vollziehen, wenn die erfolgreichste Sängerin der Welt ihr fünftes Deutschlandkonzert in Hamburg gibt.
So setzt sich Taylor Swifts Vermögen zusammen. Foto: Zapletal
Wie kann es sein, dass die 34-jährige Amerikanerin so eine Sogwirkung hat? Und wie schafft sie es, dass ihre Fans dazu bereit sind, jeden Preis zu bezahlen, jedes Zucken ihrer Mundwinkel euphorisch zu feiern, jedes Augenzwinkern als Signal zu deuten? Antworten darauf hat Professor Jörn Glasenapp, Kulturwissenschaftler am Institut für Germanistik an der Uni Bamberg. Wer bei ihm studiert, kann ein Seminar über Swift belegen. Im Februar hat Glasenapp zudem sein Buch „Taylor Swift – 100 Seiten“ bei Reclam veröffentlicht.
Ist es ein Hype oder mehr? „Bei Swift von Hype zu sprechen, ist unpassend. Denn wenn wir dem Duden folgen, bezeichnet ‚Hype’ eine ‚Welle oberflächlicher Begeisterung’“. Swift aber ist seit spätestens 2014 ein Mega-Weltstar, die Welle wäre also eine sehr, sehr lange“, sagt Glasenapp. „Und wenn man sich die Swifties anschaut, erlebe ich alles andere als eine ‚oberflächliche Begeisterung’. Totale Begeisterung träfe es eher.“
Totale Begeisterung, die ihren Preis hat. Denn Swift ist eine knallharte Geschäftsfrau. Sie weiß, was ihre Fans wollen und bereit sind dafür zu bezahlen. Die Ticketpreise für die Konzerte der „Eras“-Tour in Deutschland lagen zwischen knapp 100 und rund 800 Euro. Für den Höchstsatz dürfen Fans früher in die Stadien und direkt vor die Bühne. Und bekommen vorab ein VIP-Fanpaket zugeschickt, in dem sich Merchandisingprodukte wie Poster, Postkarten, Sticker und ein Jutebeutel befinden. Für Swifties ein Highlight, das aber bei weitem nicht den stolzen Preis rechtfertigt – gute Sicht hin oder her.
Teure Hotels
Denn mit einem Konzertticket ist es oft nicht getan, hinzu kommen Anreise und Hotelkosten. Für zwei Nächte in Gelsenkirchen wurden so etwa bei der Buchungsplattform booking.com bis zu 1000 Euro aufgerufen. Günstige Alternativen kosteten immer noch mehrere hundert Euro, selbst für Ferienwohnungen oder Privatzimmer. Auch in den beiden anderen deutschen Spielstädten München und Hamburg stiegen die Hotelpreise exorbitant.
Auf Hotelpreise hat Taylor Swift selbstverständlich keinen Einfluss – wohl aber auf die Preise für ihr Merchandise. Das Shirt kostet 45, der Kapuzenpulli 80 Euro. Eine Mitarbeiterin am Merch-Stand in Gelsenkirchen erzählt, dass ein Stand bis zum Mittag an einem Tag schon einen Umsatz von über 50 000 Euro gemacht haben soll. Wie die britische „Sun“ berichtet, sollen sich die Einnahmen aus den Fanprodukten zur Tour auf 500 Millionen US-Dollar (460 Millionen Euro) belaufen. In den USA geben Fans im Schnitt 1300 Dollar für den Konzertbesuch mit Unterkunft, Essen und Merchandise aus, wie eine Umfrage des Common Sense Institute ergab.
Milliardärin geworden
Die Tour machte Swift zur Milliardärin: Seit 2022 verdoppelte sie ihr Vermögen laut Forbes von 540 Millionen auf 1,1 Milliarden Dollar. Und die Tour ist noch nicht zu Ende.
„Natürlich darf man Kritik üben, und das tun die Fans auch. Zweifellos sind die Ticketpreise verdammt hoch“, sagt Glasenapp. „Auch darf man sich fragen, ob es unbedingt nötig ist, zehn verschiedene Vinyl-Editionen der Platten herauszugeben. Das ist schon Geldschneiderei.“
Um zu Verstehen, wie Taylor Swift als Geschäftsfrau tickt und zugleich ihre Fanschar noch enger an sich bindet, ist die Auseinandersetzung Swifts mit Scott Borchetta ein gutes Beispiel: Borchetta, Chef ihres ehemaligen Labels Big Machine Records, verkaufte 2019 sein Unternehmen an den Investor und Talentmanager Scooter Braun. Ihm gehörten damit Swifts erste sechs Alben; er verdient weiterhin an Plattenverkäufen und Streams. Swift beschloss, ihre Musik neu mit zusätzlichen Liedern aufzunehmen. Diese neuen Alben tragen den Zusatz „Taylor’s Version“ – und sind ein riesiger Marketing-Coup mit dem Narrativ: die hintergangene Swift legt sich mit der Musikindustrie an und erobert sich ihre Songs zurück. Ihre Fans riefen zum Boykott der alten Versionen auf. „Ich liebe ihr Album Reputation, aber ich versuche es nicht ganz so oft zu hören, weil es davon noch keine Taylor’s Version gibt“, sagt Swiftie Carina etwa, die in Gelsenkirchen zwei Konzerte besuchte. Sie wartet daher sehnsüchtig darauf, dass Taylor Swift die Neuaufnahme verkündet.
Swift singt über Liebeskummer, Freundschaften, zwischenmenschliche Enttäuschungen und Erwachsenwerden – allen vertraute Gefühle, die eine freundschaftliche Verbundenheit mit ihr erzeugen. Meine Freundin Taylor, die Milliardärin.
„Das liegt an Swifts intimen Lyrics, die offen und ambivalent und somit für die Fans hochgradig anschlussfähig sind“, erklärt Glasenapp. „Die Fans eignen sich die Texte ganz eigen und unterschiedlich an, sie nutzen sie für ihre jeweilige Lebenssituation.“ Die Verbundenheit wird unter Fans noch verstärkt, indem sie die Freundschaftsarmbänder austauschen, auf denen Songzeilen stehen. Bänder, die Fans zu Hunderten an Karabinerhaken mit sich herumtragen. Beim Besuch in Gelsenkirchen sieht man sogar Polizisten, die Bändchen tauschen.
Swifties tauschen die Freundschaftsarmbänder untereinander. Foto: privat
Swift hat Macht, es wird ihr gar zugeschrieben, dass sie den US-Wahlkampf beeinflussen könnte. Bisher äußerste sie sich allerdings noch nicht dazu. „Ich bin davon überzeugt, dass sie sich noch mit einer Wahlempfehlung gegen Trump zu Wort melden wird“, sagt Glasenapp „Ich vermute, sie wartet damit, bis sie im Herbst mit ihrer „Eras“-Tour in die USA zurückkehrt. Wenn man bedenkt, dass in einigen Swing States wenige tausend Stimmen entscheiden, ist es leicht vorstellbar, dass Swift mit ihrer äußerst loyalen Fangemeinde für Trump eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellt.“
Doch zunächst pilgert die Fangemeinde nach Hamburg beziehungsweise am kommenden Wochenende nach München, wo Swift ihre letzten beiden Deutschlandkonzerte geben wird. Die Armbänder mit „Ready for it“ liegen bereit, wir sind es auch.