Weil die FDP ein Interview mit Philipp Rösler nicht genehmigte, druckte die „taz“ nur die Fragen ab. Jetzt herrscht auf der Internetseite des Blattes seit drei Tagen helle Aufregung und die Leser stellen die Frage: Wie rassistisch ist die „taz“?

Berlin - Im Café der Tageszeitung „taz“ in der Berliner Rudi-Dutschke-Straße war am Mittwoch noch alles in bester multikultureller Ordnung. Es gab „arabischen Salat“, „jemenitische Gemüsesuppe“ und „Linsenplätzchen mit Hummus“. Hingegen herrschte auf der Internetseite des linksalternativen Blattes helle Aufregung. Es tobt dort seit drei Tagen der Streit um die Frage: Wie rassistisch ist die „taz“?

 

Anlass ist ein Interview, dass zwei Journalistinnen der Zeitung mit Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler geführt hatten. Man redete rund 20 Minuten über Rassismus, etwa 25 Minuten über andere Themen. Am Ende schickte die Redaktion ihre Version an die Pressestelle der FDP mit der Bitte um Autorisierung. Der Parteisprecher Peter Blechschmidt verweigerte diese, weil sich 14 von 20 Fragen auf die asiatische Herkunft Röslers bezögen, die der Minister nicht zum Wahlkampfthema machen wolle. So hatte die „taz“ zum Beispiel gefragt: „In Niedersachsen, wo Sie herkommen, wurden Sie häufig als ,der Chinese‘ bezeichnet. Ist das aus Ihrer Sicht Ausdruck von Hass oder Ressentiment?“ oder „Warum interessiert Sie persönlich das Land Ihrer leiblichen Eltern nicht?“

Aus Protest gegen die verweigerte Autorisierung druckte die „taz“ am Dienstag die Interviewfragen ohne Röslers Antworten ab. Chefredakteurin Ines Pohl erklärte dazu gegenüber der StZ: „Ich halte das für einen angemessenen Umgang. Wenn die Autorisierungspraxis in Deutschland so weit getrieben wird, dass komplette Interviews gesperrt werden können, bedroht das den kritischen Journalismus.“ Doch es kam anders als erhofft: Die Wut vieler Leser richtete sich nicht gegen die FDP, sondern gegen die „taz“ selbst. Plötzlich musste sich die Redaktion den Vorwurf gefallen lassen, selbst rassistisch zu sein statt, wie Ines Pohl es beschreibt „den Alltagsrassismus offenzulegen“. Typische Wortmeldungen von Lesern im Internet lauten: „Ihr reproduziert den Rassismus gegen Rösler, indem ihr ihn nicht als Politiker interviewt, sondern erneut auf sein Äußeres reduziert und ihn zum ewigen vietnamesischen Waisenkind macht.“ Die Verteidiger des journalistischen Vorgehens sind unter den rund 700 Forumseinträgen in der Minderheit.

Hat die Chefredakteurin schon wieder zensiert?

Mit der missglückten Veröffentlichung hat die Chefin nun schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen für publizistischen Ärger gesorgt. Erst im August musste sie sich öffentlich rechtfertigen, weil sie einen Artikel aus dem Blatt genommen hatte. Darin hatte der Redakteur Christian Füller die These vertreten, Pädophilie sei im Programm der Grünen angelegt gewesen. Das trug ihr den Vorwurf der Zensur ein. Sie habe die der „taz“ nahestehende grüne Partei vor der Wahl schützen wollen.

Die 46-jährige Pohl leitet die Chefredaktion seit 2009 und ist kein Eigengewächs der „taz“. Zuvor war sie Ressortleiterin Politik in Kassel und Berliner Korrespondentin der Mediengruppe Ippen. Dass ein Chefredakteur einen Artikel wegen handwerklicher Schwächen rügt und aus dem Blatt nimmt, kommt in vielen Redaktionen vor. Und im Juli 2011 haben zwei Spiegel-Redakteure Philipp Rösler zum Teil noch wesentlich unverschämtere Fragen gestellt („Ist es für Sie in der Politik hinderlich, dass Asiaten den Ruf haben, immer nett und freundlich zu sein?“).

Aber „taz“-Leser sind anders. Die Zeitung gehört fast 13 000 Genossenschaftlern, die finanziell an der „taz Verlagsgenossenschaft eG“ beteiligt sind. Für sie, wie für viele langjährige Leser, ist die Zeitung Sprachrohr ihrer linksalternativen Lebenswelt, für die andere Maßstäbe zu gelten habe als für gewöhnliche Medien. Sie mischen sich gerne ein und diskutieren besonders leidenschaftlich mit den Redakteuren über Gesinnungsfragen. „Wir werden auch weiterhin heftig mit unseren Lesern diskutieren und auch öffentlich zugeben, wenn wir Fehler gemacht haben“, sagt die Chefredakteurin. Das Rösler-Interview allerdings, betont sie, sei kein Fehler gewesen.