Meeresforscher arbeiten daran, die für den Schiffsverkehr gesperrten Windparks zur Aufzucht von begehrten Speisefischen zu nutzen. Dabei soll eine biologische Abwasserreinigung auf hoher See die Belastung für die Umwelt verringern.

Stuttgart - Die riesigen Offshorewindparks in der Nord- und Ostsee bergen für die Fischer ein echtes Problem: Die ehemals großen Fangflächen können von ihnen nicht mehr zur Fischerei genutzt werden – und dabei stagniert der Fischereiertrag ohnehin schon in den letzten 30 Jahre weitgehend. Doch Forscher des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts für Polar und Meeresforschung (AWI) und des Forschungsinstituts für Marine Ressourcen IMARE wollen zwischen den Windmühlgiganten jetzt eine ökologisch durchdachte, marine Aquakultur für Speisefische betreiben.

 

Der Grundgedanke ist einfach: Die Gewässer zwischen den Windrädern sind zwar aus Sicherheitsgründen für die allgemeine Schifffahrt gesperrt, sie können aber für die Versorgung und technische Wartung der Anlagen angesteuert werden. Genau diese Versorgungsschiffe könnten dann auch die Aufzucht und Ernten der Aquakulturen mit begehrten Speisefischen wie Steinbutt, Lachs oder Kabeljau betreuen. „Damit schlagen wir sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe“, freut sich der Leiter des Projektes Bela Buck vom AWI in Bremerhaven. „So ergäbe sich für die ohnehin notwendigen Versorgungsschiffe der Windparks nämlich ein weiterer Einsatzzweck und damit eine zusätzliche Möglichkeit zur Kostendeckung“, erklärt Buck. Natürlich müsste dazu ein entsprechendes Fachpersonal für die Fischzucht geschult und eingesetzt werden.

Zeit zum Umdenken

So könnten auch die von Arbeitslosigkeit und mageren Fängen gebeutelten Fischer ein neues Betätigungsfeld bekommen. Der Leiter des Firma „Kutterfisch“, Horst Huthsfeldt, sieht die Zeit zum Umdenken gekommen: „Wir könnten uns durchaus vorstellen, dass wir unser Betätigungsfeld auf die Aufzucht und Ernte von Edelfischen in Aquakulturen erweitern.“ Um mehr über die Aquakulturen zu lernen und auch um den Forschern des Alfred-Wegener-Instituts wertvolle Tipps zu geben nehmen Huthsfeldt und Kollegen auch regelmäßig an Workshops teil, die von den Wissenschaftlern veranstaltet werden.

Bis jetzt liegen die Aquakulturanlagen üblicherweise in seichten Gewässern in der Nähe der Küsten, wo sie erhebliche Probleme wie die Verbauung der Küstenregionen und die Belastung der Küstengewässer mit Futterresten und den Fäkalien der Fische verursachen. Bei den ökologisch geplanten Offshorekäfigen soll sich das ändern: Hier werden direkt in den Anlagen Algen und Muscheln angesiedelt, die das Wasser kontinuierlich filtern und reinigen. Im Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven stehen in einem Versuchslabor große Wasserbottiche, wo diese Algen parallel zu Muscheln und Edelfischen wie dem Steinbutt gehalten werden. Derzeit versuchen die AWI-Forscher, dieses komplizierte System exakt auszutarieren. Der Clou dabei: „Auch die Muscheln und Algen lassen sich wirtschaftlich nutzen“, erklärt Bela Buck und ergänzt: „Einerseits als Lebensmittel, andererseits als Bestandteil von Futtermitteln für die gezüchteten Fische.“

Fischzucht muss wirtschaftlich sein

Natürlich muss eine solche Aufzucht vor allem wirtschaftlich sein, um die Zuchtfische auch zu marktüblichen Preisen verkaufen zu können. Deshalb haben die Forscher ein Projekt gestartet, bei dem sie einen Ernteroboter entwerfen, der die Aufwuchsorganismen – etwa Muscheln und Seepocken – an den Stützpfeilern der Windräder automatisch abernten soll. Ein computergesteuertes Futtersystem soll das Fischfutter von den Plattformen der Windkrafträder in regelmäßigen Abständen in die Käfige streuen.

Aufgehängt werden die speziell für die Fischzucht konzipierten Käfige zwischen den Standbeinen der Windmühlen, den sogenannten Tripilen. Von dort aus können sie dann nach oben aus dem Wasser gezogen werden, so dass sich die ausgewachsenen Fische bequem „ernten“ lassen. Da in der Nordsee starke Strömungen und Wellengang herrschen, wurde die Stabilität und Aufhängung der Fischkäfige zuvor im Wellenkanal des Franzius-Instituts für Wasserbau und Küsteningenieurwesen in Hannover getestet. Dafür hat Buck extra mehrere Modelle der Käfige bauen lassen. Gemessen wurde mit einem neuen berührungslosen optischen Strömungsmesssystem: Mit Hilfe eines Laserstrahls und zweier Kameras wird die Geschwindigkeit bestimmt, mit der die Wellen etwa auf Tragstrukturen der Käfige treffen – und anschließend berechnet, ob diese den Belastungen standhalten können.

Zwar hängt derzeit noch kein Käfig zwischen Windmühlen-Tripilen im Meer, und auch die Steinbutte befinden sich noch in den Versuchsaquarien des AWI; aber Bela Buck ist sich sicher, dass sich dies bald ändern wird: „Alle unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir schon in ein paar Jahren die ersten Edelfische zwischen den Offshore-Anlagen züchten können“, sagt der Professor für Angewandte Meeresbiologie. Bis dahin erntet der passionierte Feinschmecker nach jeder abgelaufenen Versuchsreihe den Steinbutt aus den Versuchsbottichen des Instituts selbst – und verspeist die Tiere zusammen mit seinen Mitarbeitern und Studenten.

Marine Aquakultur

Bedeutung
In den vergangenen Jahren hat die Hochseefischerei zunehmend Probleme: Vielerorts droht Überfischung, was von Umweltschutzorganisationen immer wieder angeprangert wird. Andererseits wächst vor dem Hintergrund einer steigenden Weltbevölkerung der Bedarf an Meerestieren stetig. So verwundert es nicht, dass die Bedeutung von Aquakulturen zunimmt, also von Anlagen, bei denen etwa Fische in Netzkäfigen gehalten werden. Ein bekanntes Beispiel ist die Lachszucht, beispielsweise in norwegischen Fjorden. Aber auch Krebstiere werden in marinen Aquakulturen gezüchtet, etwa Garnelen in Südostasien.

Forschung
An deutschen Forschungsinstituten wird intensiv an ökologisch verträglichen Systemen zur Kultivierung von Algen, Muscheln und Fischen gearbeitet. Ein Teilaspekt dabei ist, diese Anlagen in Windparks auf hoher See (Offshore) zu integrieren. Dabei sind allerdings nicht nur technische Lösungen von Interesse; im Rahmen der Forschungsprojekte werden auch wirtschaftliche und sozio-ökonomische Fragestellungen bearbeitet. Schließlich müssen sich die Zuchten auch wirtschaftlich lohnen und von der Bevölkerung akzeptiert werden.