Der Unterhaltungskonzern verblüfft mit einem eigenwilligen neuen Konzept für seine Spielekonsole Switch. „Nintendo Labo“ nennt sich das Zubehör aus Karton.

Stuttgart - Super Mario, Gameboy, Pokémon – der japanische Unterhaltungskonzern Nintendo ist bekannt dafür, Menschen in digitale Welten zu entführen. Der weltbekannte Klempner mit dem Schnauzer oder die Wii, die erste Spielkonsole mit Bewegungssteuerung, haben Videospielgeschichte geschrieben. Auch die im vergangenen Jahr erschienene Switch, ein Mix aus stationärer und mobiler Konsole, ist ein Hit. Über zehn Millionen Stück wurden in nur wenigen Monaten abgesetzt. Und das, obwohl die Rechenleistung sich kaum mit konkurrierenden Geräten wie Playstation oder Xbox messen kann.

 

Nintendo hat sich nie groß darum geschert, was andere machen. Und lag damit mitunter auch mal daneben. Doch die kreativen Köpfe um den legendären Vordenker Shigeru Miyamoto schaffen es immer wieder, die Branche auf den Kopf zu stellen. Mit ihrem neuesten Projekt dürften die Japaner allerdings selbst jene verblüffen, die ihnen fast alles zutrauen.

In Zeiten, in denen alle Lebensbereiche mehr und mehr digitalisiert werden, macht Nintendo mal eben zwei Schritte rückwärts. Während die „virtuelle Realität“ in aller Munde ist, wollen die Japaner die Spieler zurückholen ins Reich des haptisch Erfahrbaren. Statt imaginäre Traumwelten zu durchstreifen sollen sie wieder ihre direkte Umgebung entdecken und Dinge mit ihrem eigenen Händen erschaffen. Basteln? Manch eingefleischtem Gamer dürfte allein das Wort den Angstschweiß auf die Stirn treiben.

Kuriose Idee: Eingefleischte Zocker sollen nun basteln

„Nintendo Labo“ nennt sich das bis vor kurzem noch geheim gehaltene Projekt. Es besteht im Wesentlichen aus Kartons mit vorgestanzten Formen und einer Software für die Switch-Konsole. Folgt man den leicht verständlichen Schritt-für-Schritt-Anleitungen auf dem Bildschirm, entstehen verblüffende Gegenstände, angefangen vom kleinen Gefährt über eine Teleskop-Angel bis hin zu Robotern und einem funktionsfähigen Klavier. Die Seitencontroller, Joy-Cons genannt, und der Bildschirm der Switch-Konsole spielen dabei ganz unterschiedliche Rollen.

Das einfachste der Modelle – Nintendo nennt die Pappergänzungen „Toy-Cons“ – ist eine Art Auto, das auf krabbenartigen Beinen steht. Die beiden „Joy-Cons“ werden an den Seiten angebracht. Über Regler auf dem Monitor lässt sich das Konstrukt ansteuern. Da die Switch-Handsteuerung über eine Vibrationsfunktion verfügt, werden die Pappfüßchen in Schwingungen versetzt, und das Gefährt bewegt sich laut schnarrend vorwärts. Sehr präzise und elegant ist das Ganze nicht, doch nach einer Weile hat man den Bogen raus. Dann kann man Rennen fahren, Roboterkämpfe veranstalten oder was einem sonst noch so in den Sinn kommt.

„Wir wollen Familien an einen Tisch bringen, um gemeinsam zu bauen, zu spielen, kreativ zu sein“, sagt Nintendo-Sprecherin Silja Gülicher bei der ersten Präsentation in Nintendos Deutschlandzentrale in Frankfurt. Während sich das Rennauto mit Vibrationsantrieb relativ schnell aus den stabilen Kartonbauteilen zusammensetzen lässt, braucht man für kompliziertere Konstruktionen schon mal zwei Stunden und mehr – und hat erstaunlicherweise eine Menge Spaß dabei. Hinzu kommt die Möglichkeit, die eigenen Kreationen zu verzieren, zu bekleben und zu bemalen. „Der Entstehungsprozess ist elementarer Bestandteil des Erlebnisses“, so Silja Gülicher. Schikanen auf der Rennstrecke oder zusätzliche Bauteile lassen sich aus nahezu jedem Material herstellen. Vielleicht verbessert ein Spoiler aus Papier das Fahrverhalten des Toy-Con-Autos oder man versucht, Gegner mit Hilfe aufgeklebter Mikadostäbchen aus dem Rennen zu werfen.

Zurück zu den Wurzeln: Die Firma Nintendo stellte einst Spielkarten her

Die Faszination von „Nintendo Labo“ besteht nicht zuletzt darin, aus zweidimensionalen Elementen komplexe 3D-Objekte entstehen zu lassen. Den Entwicklern dürfte geholfen haben, dass Origami, die Kunst des Papierfaltens, in Japan eine jahrhundertelange Tradition hat. Auch Nintendo kehrt damit zumindest teilweise zu seinen Wurzeln zurück. Der heutige Weltkonzern wurde Ende des 19. Jahrhunderts gegründet – als Manufaktur für Spielkarten. Als Shigeru Miyamoto in den 70ern zu Nintendo kam, stellte die Firma mehr oder weniger fantasievolles Plastikspielzeug her.

Ansätze, die analoge und die digitale Welt in Einklang zu bringen, gibt es viele. So geht es bei „Augmented Reality“ darum, die Realität mit elektronisch erzeugten Inhalten zu erweitern. Bei „Nintendo Labo“ ist es gewissermaßen umgekehrt. So fischt man mit der eigenhändig gebastelten Angel in einem auf dem Monitor darstellten Gewässer. Und das Klavier gibt dank Reflektoren, die auf die Rückseiten der gefalteten Tasten geklebt werden, echte Klänge von sich. Solch technische Kabinettstückchen erschuf bislang nur der dänische Lego-Konzern mit seiner „Mindstorms“-Reihe. Mit dessen Bausätzen haucht man den bunten Klötzchen mittels künstlicher Intelligenz Leben ein.

„Nintendo Labo“ peilt eine weniger technikaffine Zielgruppe an. Das Konzept hat zudem den Vorteil, dass sich das Spielerlebnis ohne Zukauf neuer Bauteile erweitern lässt. Am 27. April sollen zunächst zwei Sets erscheinen. Das „Multi-Set“ wird neben Auto, Angel und Klavier ein interaktives Hausmodell und einen Motorradsimulator enthalten. Das zweite Paket ist ein „Robo-Set“ mit bislang unbekanntem Inhalt. Auf der US-Webseite von Nintendo sind die Boxen derzeit für 69,99 und 79,99 Dollar ausgepreist.

Über mögliche weitere Sets schweigt sich der Hersteller noch aus. Das breite Grinsen der Nintendo-Leute lässt jedoch erahnen, dass sie noch einige Überraschungen in petto haben. Aber damit muss man bei Nintendo eigentlich sowieso immer rechnen.

Elektronisches Spielzeug zum Basteln

Osmo

Ein Lernsystem, mit dem das iPad von Apple wahlweise zur Leinwand, zur Pizzabäckerei oder zum Programmierkurs mutiert. So werden die virtuelle und die haptisch erfahrbare Welt auf kreative Weise miteinander verbunden. Mit diversen Zusatz-Sets wird das Angebot besonders vielseitig. Hersteller: Osmo, Altersstufe: 4 – 12 Jahre, Preis: ab ca. 80 Euro.

Cozmo

Ein putziges Roboterauto, das spielerisch in die Welt der Programmierung einführt. Die persönliche Interaktion mit dem elektronischen Gefährten, der seine Umgebung wahrnehmen kann, steht im Vordergrund. Über eine Gratis-App kann man Cozmo Aufträge erteilen. Hersteller: Anki, Altersstufe: ab 8 Jahren, Preis: ca. 200 Euro.

Mindstorms

Die bunten Lego-Klötzchen kennt jeder. Bei Mindstorms geht es aber schon um ernsthaftes Programmieren und das Konstruieren funktionsfähiger Roboter. Eine Affinität zu Technik sollte vorhanden sein. Vorteil: Vorhandene Lego-Sets können kreativ in das Spiel einbezogen werden. Hersteller: Lego, Altersstufe: ab 10 Jahren, Preise: ab ca. 300 Euro.